Was ich dir noch sagen will – Erinnerungen eines erfüllten Lebens

eine der bemerkenswertesten Biographien, die ich in der letzten Zeit las, ist die von Sidney Poitier.  Der Schaupieler, Regisseur und Autor wurde 1974 für sein Lebenswerk mit dem Ritterschlag des englischen Königshauses als Sir geadelt.  Barack Obama verlieh dem ersten dunkelhäutigen Schauspieler der es in Hollywood zu Weltruhm brachte, die Presidental Medail of Freedam.  Seine autobiographischen Lebenserinnerungen sind in Briefen an seine Urenkelin Ayle verfasst und dem neuen kleinen Wesen  und allen, die wie er auf der Suche sind, gewidmet.

Erinnerung ist ewige Gegenwart
Erstaunlich wie Sidney Poitier im Spannungsbogen zwischen dem Beginn des Lebens von Ayle und seinem sich seinem Ende neigenden Leben acht Jahrzehnte Dasein und den rasanten Wandel des industriellen Zeitalters beschreibt. Dabei gleichzeitig eintaucht in die Geschichte und die Entfaltung unseres Stammes – der Menschen, seit Anbeginn.
Seine Geburt gleicht einem Wunder. Sidney wurde zu früh geboren, war der Sohn von armen, aber unglaublich liebevollen Eltern und einer zutiefst gläubigen Mutter. Der Vater stand mit einem Schuhkarton da, der nach dem Tod des Frühchens als Sarg dienen sollte. Doch die Mutter glaubte fest an das Leben ihres Kindes, befragte einen Heiler, der dem Neugeborenen eine Karriere und großen Ruhm in der Welt verkündete. Das Wunder geschah.
Der kleine Sidney überlebte, sah mit 16 Jahren zum ersten Mal ein Foto von sich und ein Auto. Die Prophezeiung erfüllte sich. Nach vielen Auf- und Umbrüchen avancierte der charismatische und gleichzeitig immer bodenständig  bleibende Sidney Poitier zum ersten dunkelhäutigen Weltstar der Geschichte des Films. Er spielte große Rollen und Persönlichkeiten, führte später Regie und nutzte seine Bekanntheit, um sich für seine Mitmenschen einzusetzen. Eine gute Freundin Poitiers, Oprah Winfrey, kürte die Autobiographie zum TV-Buch Club Tipp des Jahres 2007.  Anrührend schon der erste Brief an Ayele, der mit – DU und ich betitelt ist –  und so beginnt:

„Obwohl diese Briefe an dich gerichet sind, meine liebste Ayle, sind Sie auch an mich geschrieben, damit ich stets versichert sein kann, dass du mich als unerschütterliche Gegenwart in deinem Leben hast – auch dann noch, wenn ich tot bin und du viel älter geworden bist. So gerne ich es anders hätte, ich bin wahrscheinlich nur noch wenige Jahre hier, um von dir so gut gekannt zu werden. Trotzdem wirst du mich auf diesen Seiten finden, wann immer du mit mir in Verbindung treten möchtest – hier warte ich auf dich.“

Weiser Rat und Grenzen des Verstandes

S. Poitier, H. Belafonte, C. Heston beim Civil Rights Marsch 1963 ; Foto:U.S. Information Agency. Press and Publications Service/Wikipedia

Die Biographie beeindruckt mich auch deshalb, weil Sidney Poitier als alter weiser Mann in unglaublich feinfühligem Stil versucht, seinem gerade geborenen Urenkelchen Rat in Verknüpfung mit seinen eigenen Erfahrungen zu geben. Dabei spürt man niemals den erhobenen Zeigefinger. Es ist kluger Rat, der sich sowohl an seine Familie, als auch an seine Familie von Freunden ( in die er uns Leser einschließt) richtet.  Was mich fasziniert, ist die Ehrlichkeit, mit der er mit sich selbst zu Gericht zieht.  Ob das das Hinwenden zu den eigenen Schatten ist oder die Erkenntnis, dass es Fragen gibt, die für ihn wohl unbeantwortet bleiben. Dabei merkt eine, dass diese unbeantworteten Fragen die Grenzen des Logos an sich berühren. Weniger die des Sidney Poitiers. Es gibt Fragen, deren Antworten jenseits des Verstandes, genau dort wo analoges Denken dem sychronen Denken den Raum abtritt, liegen.   Zum Beispiel die Frage nach dem Anfang und dem Ende unserer Welt und unseres Universums.  Alles in allem ein Buch das Mut macht, Lächeln schenkt, das Herz berührt und die Seele stärkt.

Wie erstaunlich!
Eine Biographie, die eine berührt beim Lesen der autobiographischen Erinnerungen zurück lässt.  Ein Werk, dass nachdenklich stimmt, angesichts des authentisch geschilderten Berichts über ein Leben dass prall gefüllt ist mit Erfahrungen und Erkenntnissen. Wundervoll wie Sidney Poitier  sein Lebensgefühl und seinen Platz in unserem Stamm schildert, Sinn – uns Seinsfragen aufwirft, sie facettenreich beleuchtet und uns an seiner lebenslangen Suche und seinem Finden teilhaben lässt. Mich persönlich lässt es verblüfft mit dem Gedanken:

„Sidney Poitiier ist ein dunkelhäutiger Mann. Er ist am anderen Ende der Welt geboren.  Ich bin tausende Kilometer entfernt, neununddreißig Jahre später – im Jahr als das Foto vom Zivilen Rechte Marsch aufgenommen wurde – geboren worden. Ich bin eine hellhäutige Frau. Und trotzdem einen Sidney Poitier und mich die Sinn- und Seinsfragen und das grundlegende Lebensgefühl, dass aus diesem Buch heraus scheint und den gefühlten Platz den er innerhalb unseres Stammes einnimmt.

Wie erstaunlich!“

 

Sir Sidney Poitiers Rat für uns
„Wie viel Geschichten sind in den Stoff meines 81jährigen Lebens verwoben? Selbst die verwegenste Schätzung mag ihr Ziel verfehlen.

Nur eines weiß ich sicher, nämlich, dass Geschichten die Grundlage bilden, auf der das menschliche Dasein aufgebaut.

Mit diesen Gedanken möchte ich Ihnen, meine Leser, zunächst einmal meinen Dank abstatten.  Sie sind im Laufe der Jahre zu einem Teil meiner erweiterten Familie geworden und haben mich ermutigt, im Rahmen dieses Buches alte und neue Reviere aufzusuchen. Nun ist die Reihe an mir, Sie alle – besonders meine weisen Altergenossen – zu ermutigen, damit auch Sie in Betracht ziehen, einige Ihrer Geschichten und Erinnerungen für die jüngeren Mitglieder Ihres Stammbaumes aufzuzeichnen. Wir verlieren schnell unsere geschichtlichen Bezugspunkte, und viele von uns sind die letzten Zeugen der mündlichen Überlieferungen innerhalb der Familie, die erklären, wie wir eigentlich hierher gekommen sind. Ich kann Ihnen versichern, dass Lohn, den Sie dadurch erhalten werden, der Mühe wert ist. Im Hinblick auf die Leser der jüngeren Generation hoffe ich, dass Sie, neugierig geworden, trotz Ihres geschäftigen Lebens die Zeit erübrigen, einige weitere Fragen über Ihre älteren Verwandten zu stellen. Zweifellos werden Sie ein Erbe vorfinden, dass Ihre Vorstellungen davon, wer Sie sind, und woher Sie kommen, bereichern wird und das Sie später an Ihre eigenen Kinder weitergeben können. Ungeachtet dessen, wie alt oder jung Sie sind – es erwartet Sie eine Entdeckungsreise, die kaum Aufwand erfordert.

 Gewiss unternahm ich sie mit der Niederschrift dieses Buches. […]“

 

Quellen und weiterführende Informationen
Sidney Poitier – Was ich dir noch sagen will – Erfahrungen eines erfüllten Lebens;
Wikipedia Sidney Poitier
Ich habe einen Traum – 50 Jahre Marsch auf Washington

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