Vom Sinn des Gebens

“Ein kluger Schneider, von anderer Religion als die übrigen Einwohner, sollte aus der Stadt vertrieben werden. Die Eiferer sammelten sich jeden Morgen vor seinem Geschäft und brüllten Unflätigkeiten. Als die Lage zu eskalieren drohte, hatte der Schneider einen rettenden Einfall: Er trat aus seinem Laden und händigte jedem der Flegel ‚als kleine Anerkennung für ihre Mühe’ einen Taler aus.

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Für jeden einen Taler, Foto U.Carthäuser, pixelio

Am nächsten Tag sammelten sich die Eiferer wieder und verlangten Geld. „Bedaure“, sagte der Schneider, „meine Finanzen erlauben es nicht. Heute kann ich jedem von Euch nur einen Heller bezahlen.“ Etwas enttäuscht nahmen die Rowdys die kleinere Münze und begannen die übliche Schreierei. Tags darauf kamen sie erneut, aber der Schneider erklärte, dass er jetzt nur noch einen Kreuzer für jeden erübrigen könne. Da wurde der Anführer der Pöbler sehr wütend: „Für diesen schäbigen Lohn quälen wir unsere Stimme nicht.“ Die Schreihälse verschwanden und erschienen nie wieder.

(Aus „Vom Sinn des Gebens“ von Stefan Klein)

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