Erst wenn du ….

das Leben durch gelebt und durch geliebt und durch gelitten hast, dann weißt du am Ende deiner Tage, dass dir das Leben quer durchs Herz geflossen ist,“   ist die Quintessenz meines bisherigen Lebens und Titel  meiner eigenen biographische Skizze.  Sie entstand im Rahmen einer Initiative von Women world wide. Eine Organisation, die  sich für Gleichberechtigung und Wertschätzung von uns Frauen engagiert. Und es sich zur Aufgabe gemacht hat, Biographien von Frauen zu sammeln und sie anderen Frauen zur Anregung zur Verfügung zu stellen.  Die damit verbundene Anfrage habe ich damals gern angenommen.


Meine Geschichte erzählt von einem überaus steinigen Weg,
der mich mir selbst nah bringt. Vor sechs Jahren geschrieben,  stöbere ich mich durch die Seiten hindurch. Begegne dem kleinen Häseken, dass ich einmal war und betrachte versonnen das Bild, dass meinen Großvaters und mich zeigt. Entwickle wieder das Gefühl von:

dem opa sein häseken

Opa mit seinem Häseken, Foto Horst Wahle

 

„In der Poesie des Augenblicks reimt sich Zeit auf Ewigkeit“ und fühle mich dem alten Seebären, der so wunderbare Geschichten erzählen konnte, unglaublich nah. Er war der Mensch,  mit dem mich das verband, was wir reine Liebe nennen. Vorbehaltlos, erwartungsfrei erahnte er die Wünsche seines kleinen Lieblings, noch bevor ich selbst um diese wusste.
In seinen Augen war ich genau so richtig, wie ich war. Ein Gefühl, was ich sonst nie im Leben hatte. Ich fühlte mich immer anders als die anderen, unpassend und nirgends dazu gehörend. In Betrachtung der Bilder und der Zeilen begegne ich ihm, dem Seemann Paul, dessen Leben der Widerstand war. Zuerst reiste er als Heizer um die Welt, arbeitete auf dem Bau,

1930_Paul auf dem Bau

Paul, der zweite von links, Ende der 20ziger Jahre, Foto privat

 engagierte sich 1917 in Wilhelmshaven beim Matrosenaufstand. Davon gibt es sogar noch einen Brief. Jahre  später stellte er sich im III. Reich dem Regime entgegen.  Und zahlte für all das mit seiner Gesundheit. Im Alter war gefangen in der Hülle seines Körpers, die Gelenke versteiften.
Widerstand ist auch viele Jahre ein Teil von mir gewesen. Gegen alles und jeden. Warum? Weshalb? Wieso?
Es hatte viele Gründe.

Die damalige Präsidentin von www, Franka Minotti,  schrieb das Vorwort
für meinen Lebensabriss. Mein Blick fällt darauf und ich lese:

„Liebe Irene,
[…] Es wundert mich immer noch, wie aus der Geschichte einer einzigen Frau die ganze Geschichte eines Landes und eines Jahrhunderts raus kommt. Natürlich eine Frau die „gelebt“ hat. Den Satz:
‚Die Hoffnung, dass sich Dinge ändern, nimmt uns die Kraft, Dinge zu verändern‘ habe ich schon auf meiner Tafel „nicht vergessen“ angebracht.  Jetzt werde ich Ihre Biographie erst auf Italienisch, später auf Französisch und Englisch übersetzen. […]

und während ich die Zeilen in mir klingen lasse, denke ich so: „Schon erstaunlich wie das Leben und die Geschichte meiner Familie durch mich hindurch fließen“ und gleichzeitig freue ich mich, mit meinen Reflexionen andere Menschen berühren zu können. Und dann denke ich weiter über mich nach. Wie aus dem Kind eine Jugendliche wurde. Dann eine Arbeiterin, eine Angestellte, eine Mutter, eine Versicherungskauffrau, eine Betriebswirtin, eine Leiterin einer Frauenbegegnungsstätte und eine Galeristin. So rannte ich durch mein Leben. Auf und davon. Liebte das Lernen und hatte doch nie ein Ziel. Solange, bis ich vergessen hatte, warum ich so renne.  Aber das Leben ist in diesem Punkte gnadenlos gerecht:

„Wir können laufen wohin wir wollen.
Am Ende kommen wir doch nur wieder bei uns an.“  Und es dämmerte auch bei mir wie bei vielen Menschen der Tag, an dem meine Art das Leben meistern zu wollen, in sich zusammen brach. Dunkle Zeiten, der absolute Tiefpunkt meines Daseins, der mit dem Tod meiner Eltern zusammen fiel.
So lese ich mich berührt durch die Zeilen von einst, sehe mich vor einem Spiegel stehen und höre mich sagen: „Ich habe es satt, ein Opfer zu sein“ . Erahne die Gefühle von einst und spüre der Irene von damals  nach, die in ihrer Denkstruktur gestorben ist und die doch ein Teil von mir bleibt. Denn nur durch das, was ich erlebt habe, bin ich heute zu der  geworden, die ich bin. „Stirb und werde“ nannte der Apostel Paulus diesen Prozess. In den letzten fünfzehn Jahren habe ich mir das mühsam erarbeitet, was am Anfang des neuen Weges als Vision stand. „Ich will ein freies, unabhängiges, erfülltes und glückliches Leben leben. Und ich will meinen Platz im Leben finden.“ Diese Gedanken waren über lange Zeit mein Rettungsanker, als ich  in Augen blickte, die nur von abgrundtiefer Trauer und Schmerz  erzählten.

Irene Wahle

BiographinIW, Foto: Suse Walczak

Die Biographische Skizze schließe ich mit den Worten

„Heute, im Jahr 2007, liegt mein Weg wie ein Gebirgsbach vor mir, klar und steinig, manchmal sanft und still, manchmal tosend, doch letztlich unaufhaltsam fließend, wie das Leben selbst.“

Ja, so ist es bis heute geblieben. Mein Leben fügt sich, weil ich den Widerstand aufgebe und mich dem Fluss des Lebens hingebe. Ich gehe in allem, was mein Leben ausmacht, den Weg der Freude. Ich fühle mich genau richtig wie ich bin und als ein Teil des Ganzen. Ich habe meinen Platz im Leben gefunden, den ich mit Liebe ausfülle.
Nach einem Leben der Schwere lerne ich die Leichtigkeit des Seins zu lieben und zu genießen.
Dafür bin  dankbar. Und das jedem einzelnen Menschen, der meinen Weg berührte und mir geholfen hat, zu werden was ich bin.

 

P.S. Women World Wide stellte mir Fragen,
nachfolgend auszugsweise die Antworten

Was raten Sie einer Frau, die vor einer Entscheidung steht?
Suchen Sie sich einen stillen Ort. Schauen Sie in Ihr Herz und hören Sie zu, was es Ihnen zu sagen hat. Über die innere Stimme wird es Ihnen die richtige Antwort geben.

Was würden Sie ändern, wenn Sie Ihr Leben noch einmal leben könnten?
Ich konnte dieses Leben bisher nur so leben, wie ich es lebe. Weil ich mit allem, was in den Tiefen meiner Seele ruht, bin was ich bin. Ich glaube an die Wiedergeburt meiner Seele und darum vertraue ich darauf, dass mein nächstes Leben sich einfacher gestalten wird. Weil ich in diesem Leben ganz schön aufräume, fühlt sich mein Leben für mich absolut stimmig an. Mit allem, was ich noch zu lernen habe.

[…]

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