Die Botschaften unserer Märchen: Gevatter Tod

Immer wieder schön und wahr. Das Märchen vom Gevatter Tod. Viele Jahre dachte ich, Märchen seien etwas für kleine Kinder, um Ihnen die Welt zu erklären. Doch Märchen sind mehr. Über sie geben wir uns seit vielen Jahrtausenden verschlüsselte Botschaften weiter. Wir können sie mit Hilfe der Sprache unseres Unbewussten entschlüsseln. Das Geschenk: Lösungsansätze für unsere alltäglichen Herausforderungen.

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3 Antworten auf Die Botschaften unserer Märchen: Gevatter Tod

  • Helga Willuweit-Schirmbeck sagt:

    Brüder Grimm: „Die Boten des Todes“

    Vor alten Zeiten wanderte einmal ein Riese auf der großen Landstraße; da sprang ihm plötzlich ein unbekannter Mann entgegen und rief: „Halt! Keinen Schritt weiter!“ – „Was“, spricht der Riese, „du Wicht, den ich zwischen den Fingern zerdrücken kann, du willst mir den Weg versperren? Wer bist du, dass du so keck reden darfst?“ – „Ich bin der Tod“, erwiderte der andere, mir widersteht niemand, und auch du musst meinen Befehlen gehorchen.“
    Der Riese aber weigerte sich und fing an, mit dem Tode zu ringen. Es war ein langer heftiger Kampf, zuletzt behielt der Riese die Oberhand und schlug den Tod mit seiner Faust nieder, dass er neben einen Stein zusammensank. Der Riese ging seiner Wege, und der Tod lag da, besiegt, und war so kraftlos, dass er sich nicht wieder erheben konnte. „Was soll daraus werden“, sprach er, „wenn ich da in der Ecke liegen bleibe? Es stirbt niemand mehr auf der Welt, und sie wird so mit Menschen angefüllt werden, dass sie nicht mehr Platz haben, nebeneinander zu stehen.“
    Indem kam ein junger Mensch des Wegs, frisch und gesund, sang ein Lied und warf seine Augen hin und her. Als er den Halbohnmächtigen erblickte, ging er mitleidig heran, richtete ihn auf, flößte ihm aus seiner Flasche einen stärkenden Trank ein und wartete, bis er wieder zu Kräften kam.
    „Weißt du auch“, sagte der Fremde, indem er sich aufrichtete, „wer ich bin und wem du geholfen hast?“ – „Nein“, antwortete der Jüngling, ich kenne dich nicht.“ – „Ich bin der Tod“, sprach er, „ich verschone niemand und kann auch mit dir keine Ausnahme machen. Damit du aber siehst, dass ich dankbar bin. So verspreche ich dir, das ich dich nicht unversehens überfallen, sondern dir erst meine Boten senden will, bevor ich komme und dich abhole.“ – „Wohlan“, sprach der Jüngling. „immer ein Gewinn, dass ich weiß, wann du kommst, und so lange wenigstens sicher vor dir bin.“ Dann zog er weiter, war lustig und guter Dinge und
    lebte in den Tag hinein. Allein Jugend und Gesundheit hielten nicht lange aus, bald kamen Krankheiten und Schmerzen, die ihn bei Tag plagten und nachts die Ruhe wegnahm. „Sterben werde ich nicht“, sprach er zu sich selbst, „denn der Tod sendet erst seine Boten; ich wollte nur, die bösen Tage der Krankheit wären erst vorüber.“ Sobald er sich gesund fühlte, fing er wieder an, in Freuden zu leben. Da klopfte ihm eines Tages jemand auf die Schulter: er blickte sich um, und der Tod stand hinter ihm und sprach: „Folge mir, die Stunde deines Abschieds von der Welt ist gekommen.“ – „Wie“, antwortete der Mensch, „willst du dein Wort brechen? Hast du mir nicht versprochen, dass du mir, bevor du selbst kämest, deine Boten senden wolltest? Ich habe keinen gesehen.“
    „Schweig“, erwiderte der Tod, „habe ich dir nicht einen Boten über den anderen geschickt? Kam nicht das Fieber, stieß dich an, rüttelte dich und warf dich nieder? Hat der Schwindel dir nicht den Kopf betäubt? Zwickte dich nicht die Gicht in allen Gliedern? Brauste dir´s nicht in den Ohren? Nagte nicht der Zahnschmerz in deinen Backen? Ward dir´s nicht dunkel vor den Augen? Über das alles, hat nicht mein leiblicher Bruder, der Schlaf, dich jeden Abend an mich erinnert? Lagst du nicht in der Nacht, als wärst du schon gestorben?“
    Der Mensch wusste nichts zu erwidern, ergab sich in sein Geschick und ging mit dem Tode fort.
    Anschaulich und unsentimental erinnert das Märchen an die Sterblichkeit des Menschen, an die Anfälligkeit des Körpers, an die mit uns lebenden Prozesse der Krankheit und des Hinschwindens der Kräfte, „Boten des Todes“ genannt. Ohne Vorstellung eines Jenseits wird als Höhepunkt und Schluß der Erzählung am Ende ausgesagt, was ein jeder Mensch zuletzt vollziehen muß: mit oder ohne Einverständnis sich ergeben in das Geschick, welches ist: fortzugehen mit dem Tod, -Geschehen,
    Glauben, Gott????,
    Sterblichkeit als Gesetz des Lebens auf dieser Erde, damit immer Raum sei für neues Leben, wie es der Tod selber ausspricht: „Was soll daraus werden, wenn ich da in der Ecke liegen bleibe? Es stirbt niemand mehr auf der Welt, und sie wird so mit Menschen angefüllt werden, dass sie nicht Platz mehr haben, nebeneinander zu stehen“, – und schon berührt diese Rede eine der in der Gegenwart umgehenden Ängste.
    Ich entdecke in dem Märchen einige Ansatzpunkte für die Überlegungen zum Thema: „Jugend – Alter – Tod, Lebensliebe/Lebensangst“, und nenne sie:

    1. Der Tod ist unüberwindlich, kein Riese kann ihn endgültig besiegen, er steht jedem bevor „und kann auch mit dir keine Ausnahme machen“.
    2. Der junge Mensch erkennt den Tod nicht und lebt auch nach der Begegnung mit ihm „fröhlich in den Tag“, meinend, er sei sicher
    vor ihm, bis seine Boten ihn ankündigen.
    3. Der alternde Mensch weiß zwar, dass er sterben muß, doch stellt er, auch in Krankheitstagen, den Gedanken daran immer wieder
    zurück und hält sich in seiner Lebensliebe daran, dass der
    Zeitpunkt noch ferne sei. So fürchtet er ihn nicht erkennt aber
    auch seine „Boten“ nicht und reagiert mit Auflehnung, als plötzlich seine „Stunde des Abschieds von der Welt“ gekommen ist. Vor dem Unausweichlichen muss er dann verstummen.
    4. Für zwei Momente, die zu diesem Thema wichtig sind, gibt
    das Märchen keinen Anhaltspunkt: für das Schwinden der Liebe zum Leben, den Umschlag der Lebensliebe in Lebensangst. Vielleicht ist dies eine auffällige Erscheinung geworden erst in unserem Jahrhundert? Ein Phänomen, für das erst Entwicklungs-Tiefenpsychologie uns den Blick geöffnet haben? Nun ist es mit Worten fassbar, es kann aufgehellt, „analysiert“ werden, um es für diejenigen, die es erleiden, aufzulösen und ihnen Hilfen zur Überwindung zu geben.
    5. Was aber ist neu, dass Sinnfrage und Wertorientierung auch zu bedenken sind?

    Vielleicht find ich hier eine Antwort?

    Grüße von Helga Schirmbeck

    • BiographinIW sagt:

      Liebe Frau Schirmbeck,

      danke für diese Variante des Gevatter Tod. Sie wird in ihrer Ursprungsfassung der Gebrüder Grimm in

      „Kunstvoll Abschied nehmen – vom Sterben im Leben und im Tode“ – ein Fachbuch fürs Leben

      ihren Platz haben. Eben aus den von Ihnen erwähnten Gründen.
      Ja, ich stimme mit den ersten Punkten überein. Sterben gehört zum Leben. Genau wie in unserem Kulturkreis der Todeskampf, der Widerstand gegen den Tod dazu gehört. Wir kämpfen ein Leben lang: gegen das andere Geschlecht, gegen die falschen Wahrheiten, gegen uns selbst wenn wir an Krebs erkranken. Wir tragen Ehekriege, Nachbarschaftskriege, Weltkriege aus …
      wie kann dann das letzte Sterben des Menschen anders sein als Widerstand und Kampf. Wir nennen es auch Agonie. Aber wußten Sie, dass es Kulturkreise gibt, denen Agonie fremd ist?
      Beispielsweise bei den Guarani. Ich habe mal einen Blog „Über das Sterben bei den Guarani“ geschrieben. Ihnen ist die Agonie fremd. Sie erregen sich, wenn sie jemand festhalten will, hier zu bleiben. Denn Sie wissen, der Tod ist nur die Mitte zweier Leben. Sie glauben, Sie kehren wieder.
      Aber auch bei den Buddhisten ist die lebenslange Meditationsarbeit die Vorbereitung auf das letzte Sterben. In einem Buch las ich, dass ein Mönch in Meditation starb. Er hatte aber auf einen Freund gewartet, von dem er sich verabschieden wollte. Dem misslang es, pünktlich einzutreffen. Er konnte erst vier Wochen später kommen. Bis dahin blieb der Zustand des Mönchs wie der im Tiefschlaf. Erst als der Freund sich verabschiedet hatte, begann die natürlichen Zersetzungsprozesse des Körpers…
      Ja, vor dem Unausweichlichen verstummen wir dann, wenn wir unser Leben in Unbewusstheit verbracht und uns nie auf den Weg zu uns selbst gemacht haben. Der Tod wird dann immer zur ungünstigsten Stunde kommen. Ich habe das schon des Öfteren erlebt. Da sagte eine 94jährige Frau: Er war doch erst 93 Jahre alt. Warum muss er jetzt sterben?
      In meiner eigene Auseinandersetzung spüre ich, dass ich mir schon hin und wieder Gedanken mache, wie es sein wird, wenn ich mein Leben verlasse. Wen die Spuren von mir noch da sind .. in Form der Dinge, die um mich herum sind. Die aber auch immer weniger werden 🙂 Ich liebe leere Räume, da können die Gedanken so schön wandern. In den letzten Jahren bin ich viele Tode gestorben. Ich fühle, wenn sich etwas verabschiedet. Nehme die Trauer an. Will an manchem festhalten und spüre doch, dass es unmöglich ist. Ich fühle die Trauer, wenn sich Menschen aus meinem Leben verabschieden und so manches Mal füllen sich meine Augen mit Tränen. Ich schlafe dann viel und erwache irgendwann in einen neuen Tag. All das was ich gerade beschreibe spielt sich jenseits meines Wollens und meines Verstandes ab. Ich kann mich nur hingeben und ich kann es nur aushalten. Und genauso stelle ich mir mein letztes Sterben vor. Ich bin mir gewiss, dass ich mit einem Lächeln einschlafe, um mit einem Lachen wieder zu erwachen. Das nächste Mal in ein geklärteres und einfacheres Leben als es dieses war.
      Sie schreiben in Ihrem Kommentar, liebe Frau Schirmbeck:

      „Für zwei Momente, die zu diesem Thema wichtig sind, gibt
      das Märchen keinen Anhaltspunkt: für das Schwinden der Liebe zum Leben, den Umschlag der Lebensliebe in Lebensangst. Vielleicht ist dies eine auffällige Erscheinung geworden erst in unserem Jahrhundert? Ein Phänomen, für das erst Entwicklungs-Tiefenpsychologie uns den Blick geöffnet haben? Nun ist es mit Worten fassbar, es kann aufgehellt, „analysiert“ werden, um es für diejenigen, die es erleiden, aufzulösen und ihnen Hilfen zur Überwindung zu geben.“

      Hm. Die von Ihnen angesprochenen beiden Momente sind aus meiner Sicht Lebensaufgaben, die in die Zeit vor unseren Tod gehören. Das lernen der Liebe, der Selbstliebe … und die Verwandlung unserer Urängste in Vertrauen. Tabir sagte dazu: „Was du Erlösung nennst, gehört in die Zeit vor deinen Tod.“ Die Er.lösung der Lebens.aufgaben oder Seelenaufträge….
      Ich glaube Menschen aller Jahrhunderte wollten den Geheimnissen des Todes, des Lebens und des Sinns nach allem auf die Spur kommen. Und sie kamen … und übergaben uns die Lösungsvorschläge in Form von Märchen. Es ist die universelle Sprache unseres kollektiven Unbewussten, die in Bildern und den berühmten Archetypen die Botschaften von Generation zu Generation weiterreicht … in Liebe und Verstehen … und so sagt ein Sprichwort:
      „Die Hoffnung stirbt zuletzt. Und wenn diese gestorben ist, dann ist da nur noch die Liebe, die sie trägt.“ …

      Mit herzlichen Grüßen
      Biographin Irene Wahle

      P.S. Mir bleibt nur eine Frage an dieser Stelle, liebe Frau Schirmbeck: Was ist der Tod für Sie? Das ultimative Ende allen Seins? Oder das Ende, dass den Beginn in sich trägt. So wie der Samen bereits die ausgewachsene Pflanze in sich abgebildet hat?

      • Liebe Frau Wahle,
        für mich gibt es den Tod als Ende natürlich nicht, Tod bedeutet immer Neubeginn. Wie ich es auch in meinen Gedichten über die Natur, immer als Spiegel für mich, uns herausstelle. Auch in der Literatur finde ich Antworten und möchte diese noch zu meinem Beitrag über „Gevatter Tod“
        ergänzen.

        Grüße von Helga Schirmbeck

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