„Das ist ja typisch Gerhard M.“ oder „Wie entstehen persönliche Abschiedsfeiern“

das war der Satz, den die Menschen der Trauergemeinde äußerten, als sie davon hörten, dass der Verstorbene seine Abschiedsfeier selbst organisiert und auf den Weg gebracht hatte. Und es war dieser Satz, den Gerhard M., versehen mit einem schelmischen Grinsen vorhergesagt hatte. Am Beispiel des Solochellisten der Norddeutschen Philharmoniker a.D. möchte ich Ihnen erzählen wie persönliche Abschiedsfeiern zu Lebzeiten entstehen.

Die Sonne schien durch die Scheiben auf meinen Schreibtisch,
der Sommer neigte sich seinem Ende zu, als mein Telefon läutete. Der Anrufer stellte sich mir als Herr M. vor. Nach kurzem Smalltalk kam er direkt zur Sache und sagte in etwa:

„Wissen Sie, ich bin schwer krank und es wird wohl bald zu Ende gehen mit mir . Und weil ich schon so viele furchtbare Reden gehört und Trauerfeiern erlebt habe, will ich das selbst in die Hand nehmen.  Und ich möchte dafür Ihre Unterstützung.“

Die sagte ich zu und zum vereinbarten Termin trafen wir uns dann. Unglaublich nett wurde ich mit Kaffee und Kuchen von dem älteren Ehepaar auf dessen Grundstück in Waldesnähe empfangen. Gerhard M. wirkte klein, zerbrechlich und von seiner Krankheit gezeichnet. Doch in seinen blauen Augen sprühte das Feuer seines jungen und wachen Geistes. Die Fenster zu seiner Seele erzählten mir etwas über einen Menschen, der mit starkem Willen sein Leben formt und lebt. Seine bessere Hälfte, Frau M. war eine füllige Frau in den Siebzigern  und an diesem Tage ganz aufgelöst. Sie weinte leise vor sich hin und fand  es  pietätlos, was sich ihr Mann ausgedacht hatte.

„Nein, so was macht man doch nicht! Das ist doch … „,  schluchzte sie immer wieder vor sich hin.

Herr M.  saß derweil still da und wartete bis sich seine Frau beruhigt hatte.
Dann berichtete er mir von den  Schicksalsschlägen der letzten Jahre und dass nun ein unheilbares Leiden seinem Leben in naher Zukunft ein Ende setzen wird.

„Das ist ein schwerer Schlag für mich gewesen“
sagte er und wirkte dabei sachlich und leicht abwesend. „Aber ich bin ein Realist und das bedeutet für mich: ‚Gerhard, greif deinem Schicksal in den Rachen und mach das Beste daraus'“. „Der Mann hat Mut“, dachte ich damals und war gespannt auf die Dinge, die geschehen wollten.
„Es gibt viel zu besprechen“, reißt mich Gerhard M. aus meinen Gedanken: „Denn ich will mit Ihnen zusammen über meinen Abschied nachdenken“, und so setzt er nach einer kurzen Bedenkpause fort: „Ich will selbst bestimmen, was über mich gesagt wird und was dort geschieht.“ Während er das erzählt, holt er aus einer Schublade einen Zeitungsartikel heraus. „Abschied gehört zum Leben“ steht in der Überschrift dieses Artikels. „Oh“, denke ich, „das ist ja der Artikel, der über meine Arbeit und mich berichtet“
Gerhard M. unterbricht meine Gedanken und sagt: „Den Artikel habe ich aufgehoben und gedacht: ‚Wenn es mal soweit ist, dann die Frau Wahle. Die ist die richtige Person dafür.‘ Nun ist es zwei Jahre später soweit.“ 
Sodann sind wir mittendrin. Er schiebt mir eine Mappe zu,  die die von Freunden gefertigten Unterlagen seines 80sten Geburtstages enthält.
Frau M. hat sich gefangen und schenkt uns allen Kaffee ein, während wir weiter redeten und erste Ideen aufwarfen. Gerhard M. beginnt, mir seine Geschichte zu erzählen.
Während der nächsten zwei Monate treffen wir uns dreimal, um

– seine biographische Skizze als Gedenkrede zu entwerfen
– den Ort der Abschiedsfeier festzulegen
– die die Abschiedsplanung, inklusive eines Raumkonzeptes zu entwickeln
– gemeinsam die Gästeliste besprechen
– den Bestatter und die Bestattungsart auszuwählen
– und über stationäres Hospiz, ambulante Hospizbetreuung, sowie
– über die Patientenverfügung zu sprechen

Als Mensch, dem die Musik in die Wiege gelegt wurde,
ist es sein Wunsch, dass ein Quartett während seiner Abschiedsfeier spielt.   Gern würde er es sehen, dass seine Tochter diese Aufgabe übernimmt. „Ihr ist noch unklar, ob ihre Kraft reicht“,  mischte sich nun erstmals Frau M. ein. Gerhard M. wünscht sich Stücke von Bach. Wenn die Tochter diesen Part übernimmt, möchte er mit ihr die den musikalischen Ablauf absprechen.
Wichtigster Bestandteil der Abschiedsfeier ist die Gedenkrede als biographische Skizze. Behutsam tastete  ich mich während unserer Gespräche bei den Eheleuten durch die Landschaft Ihres Lebens.  Es ist schwer, über Leben und Sterben nachzudenken, sich mit seiner Endlichkeit auseinander zu setzen, wenn Gevatter Tod an die Tür geklopft hat. Deswegen holperte es manchmal auf unserem Weg, während sich Emotionen Bahn brachen.  Gemeinsam sind wir nach überwundenen Hürden voran geschritten, haben wiederholt inne gehalten, um dann weiter dem eingeschlagenen Pfad zu folgen. Beiden Eheleuten war schwer ums Herz ob des nahen Abschieds.Beeindruckt höre ich zu, wenn Herr M.  Resümee zieht:

Gerhard M. , Foto privat

„Ich bin dem Sensenmann dreimal von der Schippe gehopst und habe doch ein schönes Alter erreicht. Während meines mehr als acht Jahrzehnte währenden aktiven Daseins habe ich viel erreicht. Ich freue mich, dass ich die Liebe zur Musik in meiner Familie weitertragen konnte und das ich etwas von Wert und Bestand hinterlasse.“

Gerhard M.  besaß einen hintergründigen Humor, der sich spöttisch aufblitzend in seinen blauen Augen widerspiegelte und über ein sein heiteres Lachen in die Welt drang. Herr M.  liebte Autofahren über alles. Deshalb sagte er: „Eigentlich würde ich ja gern mit meinem eigenen Auto zu meiner Beerdigung fahren, aber leider….“ 
Gespannt folge ich den Ausführungen des Mannes, der sein Leben der Musik verschrieben hatte. Ein Musikus aus Leib und Seele. Als kleiner fünfjähriger Steppke bekam er eine Ziehharmonika geschenkt, der wenig später eine kleine Violine, eine sogenannte 3/4 Geige,  folgte.
Sein Weg schien vorgeschrieben, bis der Krieg den jungen, gerade achtzehnjährigen Mann,  zu anderen Aufgaben zwang.
Doch unaufhaltsam folgte er nach Kriegsende seiner Bestimmung. Er studierte, wurde Chellist, dann Solochellist und war 42 Jahre später ein geachtetes Mitglied seines Klangkörpers.
Während unserer Gespräche versuche ich, die Fragen herauszuhören und die für  den Menschen Gerhard M. stimmigen Antworten zu finden. Oft ist es die Frage nach dem Sinn von allem. Für Gerhard M. fand ich bei Kurt Schleiermacher die treffende Antwort:

„Der Sinn des Lebens ist, in jedem Augenblick ewig zu sein. Die einzig wahre Unsterblichkeit ist jene, die wir schon in diesem Leben vollständig besitzen können. Persönliches Überleben ist irreal und wertlos. Was wir brauchen, ist ein tiefes, anstelle eines um jeden Preis verlängerten Lebens.“

Aus allen gesammelten Informationen, dem Gehörten und Erspürten erarbeite ich dann die „maßgeschneiderte Gedenkrede als biographische Skizze“ für Herrn M.. Sie ist dann gelungen, wenn sie die Essenz aus zuhören, nachfragen, reflektieren, rotem Faden, klagen, Gedenken und Danken enthält und der Kunde sich darin wieder findet.
Doch am Ende stand alles so geschrieben und war geplant, so wie es gewünscht war.

Wenige Wochen danach ist Gerhard M. verstorben
Alles geschah den Wünschen Gerhard M. entsprechend. Selbstverständlich an einem besonderen Ort, der einen prachtvollen Rahmen für die Abschiedsfeier eines Künstlers bildete. Das Jagdschloss Gelbensande.

Jagdschloss Gelbensande, Foto: Förderverein JS Gelbensande

Durch die minutiösen Planungen des Herrn M. waren sein Geist und seine Persönlichkeit hautnah zu spüren.
Seine erste Ziehharmonika, die ihm die Tür zur Welt der Musik öffnete, stand in Glas gefasst neben seiner Urrne.  Seine Tochter, die als Violinistin in die musikalischen Fußstapfen ihres Vaters getreten war, spielte mit ihrem Quartett die Musik, die er sich gewünscht hatte.  Sie sagte später auf meine Nachfrage hin: „Es fiel schwer. Doch es war gut und tat gut, dass ich Vati dieses Geschenk machen konnte.“ Und nach einer kurzen Denkpause meinte sie: „Denn ausschlaggend ihm habe ich zu verdanken, was ich heute bin.“
Während ich die Geschichte von Gerhard M. erzählte und auch den Wünschen des Verstorbenen entsprechend berichtete, wie diese Abschiedsfeier zustande gekommen ist, da hörte ich ein Raunen in den Reihen des Schlosssaales:

„Das ist doch typisch Gerhard M.“

Ein würdevolles Fest, dass einen eindrücklichen Schlussakkord in Moll an das Ende des Lebens eines Musikers setzte. Frau M. meinte:

„Es war eine wunderbare Feier, die meinem Mann ganz bestimmt gefallen hätte, zumal eine schöne Frau die Geschichte seines Lebens erzählte und sich in seinem Namen bei all den Menschen bedankte, die seinen Weg begleitet haben. Ich bin froh, dass alles geregelt war. Das war doch sehr entlastend.“

Weitere Informationen

Für das Lebensende vorsorgen und eine „Persönliche Abschiedsfeier gestalten“

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