Biographien schreiben lassen oder unsere Alla lebt
Biographien schreiben lassen
immer mal wieder räume ich meinen PC auf. Durchforste die Ordner, um auch in meinen Computer Klarheit einziehen zu lassen. Während dessen stoße ich auf eine mittlerweile fünfzehn Jahre alte Gedenkrede. Erinnerungen kochen hoch, so als sitze ich gerade bei meiner Kundin und wir besprechen die Rede und bereiten alles für den Abschied von Alla vor.
Alla war eine junge, charismatische Frau, die ihren Traum vom Leben lebte. Solange, bis ein tragisches Unglück die Anfang Zwanzigjährige aus dem Leben riss. Ich schreibe diesen Text hier und bekomme wieder Gänsehaut, wenn ich an Alla denke. Dieser Fall berührte mich in seiner Tragik vielleicht auch so, weil Alla damals nur ein knappes Jahr älter war als mein Sohn.
Vielleicht auch deswegen
Das Trauergespräch
Wir, die Mutter und ich, saßen ungefähr zwei Stunden zusammen. Ich hörte einfach nur zu, machte meine Notizen und fragte hin und wieder nach. Allas Mutter holte viele Bilder hervor, die mir ein leuchtendes Wesen vor Augen führten und einem zauberhaften, mitten aus dem Herzen kommenden Lächeln. Sie hatte eine Haut wie Schokolade, ein zartes und doch zupackendes Wesen. Handwerklich begabt war Alla auch. Nachdem ich alle Informationen zusammen hatte, besprachen wir die Abschiedsfeier. In diesem Zusammenhang fragte ich wie immer nach, was ich anziehen soll. Allas Mutter entschied sich für die weiße Rednerin.
Wenn ich Menschen in derartigen Ausnahmesituationen begleite,
dann bin ich froh, wenn es mit meinen Worten und meiner Herangehensweise „Kunstvoll Abschied zu nehmen“ gelingt, trostvolle Worte zu finden. Worte und Gedanken, die innere Bilder berühren, die Menschen tragen und die die Geschichte eines Menschen als Biographie erzählen. Meine Arbeit verstehe ich wie einen heilsamen Balsam.
Am Tag der Abschiedsfeier füllte sich auf dem Warnemünder Friedhof der kleine maritime Saal bis auf den letzten Platz. So mancher Mensch musste stehen.
Ich fing an zu sprechen und fühlte von Anfang bis Ende, dass mich dieser Fall in seiner Tragik an die Grenze dessen brachte, was ich zu leisten vermag. Am liebsten hätte ich mit den Menschen mit geweint, geschluchzt und mir die Haare ausgerissen …
Doch wer will eine Abschiedsgestalterin, die anstatt ein Fels in der Brandung zu sein, vor Schwäche einknickt.
Die Menschen suchten Orientierung in der Stunde des Abschieds
Jemanden, an dem sie sich aufrichten können, um diese leidvolle Stunde zu überleben. Und in diesem Sinne, holte ich mehrmals tief Luft, schob meine eigene Betroffenheit beiseite und hub an zu sprechen.
„Es ist der Abend des 03. November 2003 und sie, liebe Frau Anneliese sind mitten in ihrem täglichen Leben. Es ist scheinbar ein Abend wie jeder andere und sie sind dabei, zu tun was zu tun ist. Eine Meldung im Fernsehen nimmt plötzlich ihre ganze Aufmerksamkeit in Anspruch ‚Naturkatastrophe in Sumatra in einem Nationalpark… in der Nähe der Provinzhauptstadt Medan… beliebtes Touristenzentrum…. Auswilderungsgebiet für Orang- Utans….
„Das hat mit Alla zu tun!‘
ist sofort ein inneres Gefühl wie sie es mir mitteilten, liebe Frau Anneliese. Alla, ihre Tochter, ihre Schwester, ihre Freundin war von Australien aus nach Sumatra gereist, um hier Zeit zu verbringen… ‚Ein Naturparadies, es wundert mich nicht das Alla dort war, so schön wie dieser Landstrich war‘,
werden sie später selber feststellen, Frau Radtke. Am 04. November 2003 bringen alle großen Tageszeitungen die Meldung. ….
‚Naturkatastrophe…. Tagelange Regenfälle haben die Ufer eines Flusses überquellen lassen und alles mit sich gerissen. Eine Springflut lies einen Fluss auf 10 m ansteigen. Illegal gefällte Bäume im Nationalpark wurden mitgerissen und begruben in dem Urlauberort alles unter sich… Abholzungen sind seit längerem ein Problem in Sumatra. Sie werden für Überschwemmungen und Erdrutsche verantwortlich gemacht …‘
Das sie, liebe Angehörige von Blumen absehen und das Geld spenden, um beizutragen diese Wälder wieder aufzuforsten, das ist ein ehrendes Gedenken für ihre Alla.
Die Zahl der Opfer steht erst nach Tagen fest, 150 Menschen. Es sind Ausländer dabei wie die Nachrichten vermelden 1 Australier, 2 Chinesen, 1 Mann aus Singapur, 1 Österreicher, 1 Schweizer und zwei Deutsche…. Zeitungsmeldungen…
Es folgen viele bange Tage, Tage der Ungewissheit, des Forschens. Des Telefonierens, der Recherche im Internet, des Erkundens. Anrufe in der Deutschen Botschaft in Indonesien. Tage, die Ihnen liebe Anneliese Radtke niemand nachfühlen kann. Fünf Tage später, am 08.11.03, hat das Bangen und Hoffen ein Ende. Die Kripo überbringt die Nachricht:
‚Frau Radtke, wir müssen Ihnen leider die traurige Nachricht überbringen, dass Alla Radtke eine der tödlich verunglückten Menschen ist.‘
Allas Lebenslicht, das gerade erst zweiundzwanzig Jahre leuchtete, ist erloschen… Sie fühlen sich hilflos, so verlassen, so allein und alles scheint unwirklich zu sein.“
[…]
Danach lese ich die Biographie von Alla, die ich zusammen mit ihrer Mutter erarbeitet hatte, vor und die Zeremonie nimmt ihren Lauf. Tiefbewegt gehe auch ich nach Hause. Und diese innere Berührung bleibt lange ein Teil von mir.
Ein Jahr später, an einem nebligen Novembertag im Jahr 2004,
öffnete ich meinen Briefkasten und fand die Referenz von der Mutter, Frau Radke. Als ich sie das erste Mal las, fing ich fast an zu weinen vor innerer Berührung.
„Meine liebe, sehr verehrte Frau Irene,
wenn Leute von einem Trauerjahr sprechen, in dem Gedanken und Erinnerungen an einen lieben Verstorbenen ein Wechselbad der Gefühle aufwühlen, man sich im Ausnahmezustand befindet und Rücksicht erfährt, so darf ich das auch für mich sagen. Unsere Alla lebt. Sie lebt auf ihre ganz eigene Weise, wie Sie – liebe Frau Wahle, sie uns so überaus feinfühlig und voller Gefühl gemalt haben – in uns weiter.
Es ist ein Jahr der Trauer verarbeitet, nicht aber der Schmerz über den Verlust unseres Mädchens, das auf die Erde kam, um zu lieben: die Menschen, die Tiere, die Tiere … und die ganze Welt. Lassen Sie mich Ihnen heute noch einmal herzlichen Dank sagen, die aus vollem Herzen kamen, so als hätten Sie Alla persönlich gekannt.
Und noch Eines: Ihre Zugewandtheit, Ihre Rücksicht, als ich Ihnen aus Allas Leben berichtete, damit Sie Stationen daraus an ihrem Sarg darbringen konnten, war ein großes Geschenk für mich. Die Fülle meines Schmerzes hat Ihnen eine Alla gezeigt, wie sie wirklich war. Ist es nicht so, dass der Alltag nur zu oft die Konturen verschwimmen lässt? Dass wir im Alltag den Tiefgang eines Menschen übersehen? Ihn für selbstverständlich nehmen?
Ich nehme mich da nicht aus und habe unsere Alla in ihrer Ganzheit erst an ihrem Sarg erfahren dürfen. Ihre Worte haben mich dorthin geführt. Dafür danke ich Ihnen.
Ich werde die Kopie Ihres Nachrufes auf Alla ewig aufbewahren: Ihre Worte waren mir Trost am Tage meines Abschieds von meiner Tochter und geben mir Hoffnung für meinen eigenen Lebensweg; mich immer wieder daran zu erinnern, wie wunderbar sie war, wie geliebt von allen.
Ihnen wünsche ich für Ihre hochsensible Arbeit weiterhin tiefe und bewegende Begegnungen, mit Menschen denen Sie etwas nachrufen.
Anneliese Radke“
In den vergangenen Jahren habe ich diese Referenz immer mal wieder in die Hand genommen. Und jedes Mal bekomme ich wieder eine Gänsehaut. Auch aus dem Gefühl heraus, dass Alla lebt. Wiedergeboren in einem neuen Körperkleid.
Weiterführende Links
Biographien schreiben lassen
Erinnerungen bewahren, Lebensleistung würdigen, Erkenntnisse weiter geben
Abschied gestalten
Trauerfeiern in persönliche Abschiedsfeiern verwandlen
Kunstvoll Abschied nehmen – vom Sterben im Leben und im Tode
Über das Werk, Möglichkeit verbindlich vorzubestellen und weiterführende Links
Schreibe einen Kommentar