Roger Willemsen und die Enden der Welt (1)

Reflexionen und stilles Gedenken für den Zeitgenossen Roger Willemsen

Der elfte Monate dieses Jahres nimmt unaufhaltsam seinen Lauf. Ein seltsames Jahr, indem so viele Menschen von uns gingen, die zu uns gehörten. Die Liste ist lang geworden und ich bin erschrocken über diese geballte Ladung toter Weggefährten. Es sind Menschen, die ich kannte und die sich für immer verabschiedet haben. Unter diesen Verstorbenen sind sowohl Freunde und Bekannte,  als auch prominente Zeitgenossen. Menschen, die dramatisch aus dem Leben schieden oder einfach nach einem langen, erfüllten Leben eingeschlafen sind. Leute, die sich scheinbar viel zu früh verabschiedet haben. Menschen die mich in Nähe und Ferne ein Stück begleitet haben und denen ich mich verdanke. Ich weiß, das wir Menschen geboren werden und das wir Menschen sterben, um wieder neuen Erdenbürgern Raum zu geben. Das ist der ewige Kreislauf der Zeit. Doch dieses Jahr 2016 bringt die scheinbaren Sicherheiten ins Wanken. Dieses Jahr kündet für mich davon,  dass auch in meinem eigenen Leben die Zeit des Sterbens unwiderruflich ist.
Einer der vielen Menschen, die in diesem Jahr gestorben sind,  ist Roger Willemsen. Ein Mensch, der nur wenig älter war als ich.

Roger Willemsen war ein Teil meiner Generation.

Ein Weltenbürger,  den ich für seine geradlinige und offene Art schätzte. Ein hochgeistiger Mensch, der stets dem gesunden Menschenverstand folgte. Ein Autor und ein Multitalent, dem ich einmal im Leben persönlich begegnen durfte. Ein Mann des Wortes, der seine Kunst perfektionierte und mit ihr wie mit einem scharfen Schwert brillierte. Der es wie ich liebte, am Wort zu feilen und zwar solange, bis es schildert, um punktgenau zum Ausdruck zu bringen, was gesagt werden will.

Ich gestehe, ich lerne viel aus Ihren Worten und Werken, Herr Willemsen. Denn Sie waren wie ich jemand, der  seiner Begeisterung folgte und sich währenddessen für das entflammte, was das Leben ihm an Themen schenkte. Einer den sein Tun wie mich nährte. Ein Suchender, den alles interessierte, was Leben ausmacht. Ein Rastloser, der bis an die Enden der Welt reiste und das in sich und außerhalb von sich.

Einer, der sich für eine gerechtere Welt mit Wort und Tat engagierte.

Ein Seelenverwandter, bei dem ich in vielen „Lebens-Aufgaben“ und Gedankenwelten Gleichklang spürte. Aber auch ein Mensch, mit dem ich den Wesenshauch Melancholie teilte.  Jemand, der auf alles immer sofort eine Antwort zu haben schien. Vielleicht auch, weil er sich wie ich so hoch und breit und tief mit dem entsprechenden Thema auseinander gesetzt hatte. Wie beispielsweise das Nachdenken und die Auseinandersetzung mit dem Tod. Der irgendwann kühn behauptete:

„Dann moderiere ich noch meinen eigenen Tod.“

Und dann …

War Roger Willemsen auf einmal tot

In diesem Sinne lebte ich vielleicht wie viele Zeitgenossen in der Illusion, doch rechtzeitig Bescheid zu bekommen, wenn sich jemand wie er für immer von uns verabschiedet. Doch weit gefehlt. Die Nachricht seines Todes traf mich am 7. Februar 2016, einem milden Wintersonntag, aus heiterem Himmel. Nach einer arbeitsreichen Woche hatte ich es mir zu Hause gemütlich gemacht, sah eben noch zu wie starke,  Sturmböen von fünf auf sechs Windstärken durch das Geäst von Kastanien, Pappeln, Eichen und Birken peitschten, um diesen ihren Willen aufzuzwingen. Ergötzte mich daran, wie die Wolken über den weiten Himmel vor meinem Haus fegten und trank währenddessen ein Tässchen aromatisch duftenden Kaffes:

„Ach, wie ist es doch gemütlich“,

dachte ich so  und hatte dann den Impuls:

„Schau doch mal nach Irene, was die Welt zu berichten hat.“

Diesen Gedanken in die Tat umsetzend blieben meine Blicke in einer Nachricht haften:

„Roger Willemsen ist im Alter von 60 Jahren nach kurzer schwerer Krankheit seinem Krebsleiden erlegen.“

Ich erinnere mich an meinen ersten Impuls

„Das ist doch unmöglich. Wieso ist er tot?“

Ein absurder Gedanke. Doch ich hatte ihn. Ich entsann mich in diesem Moment der strahlendenden Präsenz Roger Willemsens kurz vor seinem 60. Geburtstag. Wie immer gegenwärtig im Augenblick, schlagfertig, nachdenklich und humorvoll. Er schien sich auf seinen Geburtstag zu freuen, erzählte mit wem er wo in welchen Kreisen feiern wird. Willemsen sinnierte auf Nachfrage des Moderators darüber, wen er denn beschenken wird. Nur eine kleine Nuance stand im Widerspruch zu diesem eigentlich frohsinnigen Gespräch:

Seinen Augen fehlte der sonst funkensprühende Glanz und sie wirkten müde. Nun wurde mir der Grund klar. Meine Sprachlosigkeit über die Todesnachricht Willemsens teilte ich mit vielen Menschen wie ich sah.  Eines meiner Lieblingszitate von Rilke kam mir in den Sinn:

„Der Tod is groß. Wir sind die Seinen lachenden Munds. Wenn wir uns mitten im Leben meinen, wagt er zu weinen, mitten in uns.“

Die pointierte Form dieser Lebenserkenntnis schenkte uns Sascha Lobo, ein Marketingmann mit seinem Nachruf. Er schrieb:

„Auf einmal war er tot.“

Willemsens Ableben berührte mich tief. Das verwunderte mich, die ich mich doch seit 18 Jahren so intensiv mit dem Tod beschäftige. Deshalb  beschloss ich in meiner ganz eigenen Zeit einen Nachruf zu verfassen. Einerseits um meinen Respekt und meine Hochachtung für einen begnadeten Künstler und Menschenfreund auszudrücken. Andererseits, um meine innere Berührung zu ergründen. In diesem Sinne folgte ich den Spuren, die der Magier der Sprache, der Rede und des Herzens zurück gelassen hat.

Gefunden habe ich sie sowohl in seinen Büchern, in Hörbüchern,

Zeitungsbeiträgen und zahlreichen Filmen auf YouTube, als auch in der Trauer vieler Menschen um einen geschätzten Zeitgenossen. Was mich in unserer heutigen schnell lebigen und mir oft an der Oberfläche wirkenden Zeit bewegte, war die Tatsache, mit wie vielen mir bekannten und unbekannten Menschen ich die Trauer um Roger Willemsen teilte. Der afghanische Frauenverein, dessen Schirmherr er war, schrieb beispielsweise:

„Wir trauern um Roger Willemsen. Wie kein anderer schuf er eine Brücke der Toleranz zwischen Deutschland und Afghanistan und gab Stimmlosen mit viel Courage eine Stimme. Mit seinem Engagement ermöglichte er tausenden Mädchen und Frauen in Afghanistan Bildung, Gesundheit und sauberes Trinkwasser. Er rettete Leben und schuf Existenzgrundlagen. Ein edler Humanist und Afghanistan-Freund ist aus unserer Mitte gegangen. Er hinterlässt eine nicht zu füllende Lücke. In unseren Herzen, unseren Erinnerungen und Gedanken bleibt er für immer.“

Unzählige Nachrufe reihten sich in diesen Tenor ein.

Sogleich nach seinem Ableben und auch noch Monate danach. Wie der Zeit online Beitrag, indem ein Autor schildert, dass Willemsen immer zu früh war mit seinen Abgabeterminen und das sich dieser Wesenszug nun auch in seinem Tod fortsetzte. Ein anderer Redakteur der Zeit durchforstete Monate später seine E-Mails. Stieß währenddessen auf den Schriftverkehr mit einigen Menschen, die mittlerweile verstorben sind und erkannte, welches Gefühl von Gegenwart gerade elektronische Nachrichten vermitteln. Auch wenn ich weiß,

„Dass das Leben immer ein Ganzes ist“,

wie es der mit 48 Jahren verstorbene Christoph Schlingensief formulierte, so fühle ich in mir eine leise Wehmut. Denn Roger Willemsen war einer meiner „Wegbegleiter“ und er hat sich für immer verabschiedet. Ich möchte diesen Blog dazu nutzen, mit Ihnen gemeinsam das Fenster meiner Erinnerungen zu öffnen, um seiner zu gedenken.

Mit Willemsens Woche fing alles an

zum Ende der neunziger Jahre sah ich mir in regelmäßigen Abständen

„Willemsens Woche“

an. Ich fand dieses Sendungsformat mit seinem intellektuellen Anspruch klasse. Auch wenn ich zugeben muss, dass ich zum damaligen Zeitpunkt über manche Gedanken mehrmals nachdenken mußte, weil sie so hochintellektuell formuliert waren. Manchmal hatte ich, wie oft, wenn ich mich mit Roger Willemsen befasste, ein Fremdwörterbuch dabei. Genauso fasziniert war ich von der Art, wie Roger Willemsen Menschen „öffnen konnte“ und ihnen immer auf Augenhöhe begegnete. Dadurch erfuhr ich als Zuschauerin viel über die oft prominenten und manchmal weniger prominenten Menschen. Diesen gefühlvollen Umgang mit Menschen, den perfektionierte der Meister des Wortes in den kommenden Jahren. Deshalb war es für mich immer ein Hochgenuss, seinen Gesprächen mit Menschen zu lauschen und zu lernen.

2004 begann ich auf freiberuflicher Basis Gedenkreden zu halten

Viele der über 190 Menschen, denen ich etwas hinter her rief, hatten sich das Leben genommen.

„Selbstmord“

nennen die einen diesen Akt der Selbsttötung. Ich benutze lieber den in der Aufklärung aufgekommenen Begriff

„Freitod.“

Er symbolisiert für mich selbstbestimmt über das eigene Lebensende zu entscheiden. So wie der Mensch selbstbestimmt lebte. Freitod ist ein Ausweg aus einer Lebenssituation, der Frieden und Erlösung von inneren Zuständen schenkt, die untragbar für einen Menschen geworden sind. Was das bedeutet, kann nur jeder Mensch für sich selbst entscheiden.

Der Gedanke, wie traumatisiert die Freitod-Verstorbenen ihre Angehörigen zurück lassen, kommt ihnen wahrscheinlich nie. Mein Verständnis ist sowohl mit den Menschen, die diesen Weg zu sterben wählen. Und mein Mitgefühl ist mit Angehörigen, die dieses Schicksal durchleiden müssen. als auch mit den Angehörigen.  Denn ich war Jahre zuvor über lange Zeit in einer ähnlichen Lage, sowohl als Betroffene, die durch Depressionen tausend Tode starb und zum Glück ins Leben wieder geboren wurde. Aber auch als Angehörige eines Vaters, der seiner unheilbaren Erkrankung durch einen gezielten Schuss ein Ende setzte. Deshalb sollten die von mir geschriebenen Gedenkreden Leben würdigen und Trost für Hinterbliebene finden. Gedanken die Sinn machen und Angehörigen anfängliche Antworten auf eine der brennendsten Fragen bei einem Freitod beantworten:

„Warum hast du uns das angetan?

Fündig wurde ich in vielen Quellen. Unter anderem bei meinem Kollegen Roger Willemsen in seinem mittlerweile zum Standardwerk gewordenen Buch: Selbstmord.“  Mit Hilfe von ausgewählten Texten eröffnet uns der Autor einen Querschnitt durch die Jahrtausende alte  Tradition dieses Sterbeweges. In der Beschreibung zum Buch heißt es:

„In den versammelten Schriften von Seneca bis Camus, von Hume bis zu den Surrealisten wird der Freitod aus der Perspektive unterschiedlichster Disziplinen beleuchtet: Philosophie, Literatur, Medizin, Jurisprudenz, Soziologie, Psychologie, Statistik und Theologie: Ergänzt werden die literarischen und theoretischen Texte von Abschiedsbriefen meist anonymer Selbstmörder, die in ihrer Lakonik oft überraschen und erschrecken. ‚Bezeichne den Selbstmörder‘, heißt es in einer hier abgedruckten Aufzeichnung Strindbergs, ‚immer nur als einen Unglücklichen, dann tust du Recht; und damit ist alles gesagt‘“.

Gedanken aus diesem Werk zitierte ich hin und wieder. Wenn ich dann während meines Vortrages in die Minen der Trauernden schaute, dann sah ich oftmals,  dass sie nachdenklich wurden und sich hin und wieder eine Tür zum Verstehen ihrer Verstorbenen öffnete. Für sein aufwendig recherchiertes und mit viel Herzblut geschriebenes Buch war ich Roger Willemsen überaus dankbar. Und ich fragte mich damals, was es wohl mit ihm selbst zu tun hat, dieses Buch über den Freitod. So gingen die Jahre ins Land und ich entwickelte mich weiter, arbeitete an einem meiner Herzensprojekte, für das ich mich selbst beauftragt hatte:

„Kunstvoll Abschied nehmen – vom Sterben im Leben und im Tode“ – ein Fachbuch fürs Leben

Während der Arbeit ließ ich mich immer wieder von Roger Willemsens meisterlichen Können anregen und von seinem Faible, seinen Schreibstil zu verfeinern, inspirieren.

Dann begann ich Biographien zu schreiben.

Mit den ersten Lebenserinnerungen, die ich schrieb,  bewarb ich mich für den 1.“Deutschen Biographiepreis„. Es handelte sich um die Biographie eines mittlerweile verstorbenen Berliner Betriebsingenieur, der seine Profession im künstlichen Licht gefunden und damit zum Experten im europäischen Raum avanciert war. Um mein Werk, das in der Vorauswahl nominiert wurde,  zu präsentieren, reiste ich 2007 zur Frankfurter Buchmesse.

Dort betreute ich zusammen mit meinen Kollegen einen Stand des Biograhiezentrums,

der auch eine Auswahl der nominierten Werke für den „Deutschen Biographiepreis“ präsentierte. Die Frankfurter Buchmesse ist die größte Buchmesse der Welt und sie dauert mehrere Tage. Ich lebte schon damals ein stilles Leben. Das bedeutet, ich arbeite in meinem Homeoffice, reise zu meinen Kunden, Geschäftspartnern, Messen und anderswohin.Bin sonst den überwiegenden Teil meiner Zeit mit mir allein. Während einer der größten Buch- Messen der Welt waren wir in einer der zehn Messehallen, die wie die neun anderen über 100 Buchstände verfügte. Diese teilten sich in zehn Zehnerreihen auf.

Jeder Mitarbeiter an jedem einzelnen Stand ist meinem Gefühl nach mit Tunnelblick darauf focusiert, „seine Waren“ an den Mann und die Frau zu bringen und Lizenzen zu verkaufen. Damit wird der Handel mit den Verwertungsrechten eines Buches für alle möglichen Verwertungsformen eines Werks bezeichnet. Dazu zählt beispielsweise die Verwertung im Taschenbuch, in Buchclubausgaben, in Sondereditionen und die Übersetzung in andere Sprachen.

Daneben gibt Diskussionen, Treffen mit Autoren und am Wochenende

ist die Messe frei für Besucher zugänglich. Das Wollen hing wie eine Glocke über dem weiten Gelände der Buchmesse. In diesem Sinne war mein Messeauftritt für mich ein zweischneidiges Schwert. Einerseits wollte ich ebenfalls etwas:

Den „Kandelaber- Heckmann – eine Berliner Lebens- Licht – und Liebesgeschichte“ und mich im Buchmarkt präsentieren.

Roger Willemsen

Buchmesse Frankfurt: Präsentation des für den 1. „Deutschen Biographiepreis“ nominierten Werkes, Foto privat

Andererseits laugte mich als hochsensible Person ein jeder Messetag vollkommen aus. Wenn die Messe schloss, dann trottete ich nur noch kraftlos mit hängendem Kopf dem Ausgang entgegen. Zusammen mit dem Leiter des Biographiezentrums, Andreas Mäckler. Ich wollte nur noch raus, frische Luft ein dann und tief durchatmen. An einem dieser Abende versperrt mir auf einmal ein riesen großes Paar edler Lederschuhe den Weg.

Aufblickend ragten aus den Schuhen zwei lange Beine in feinen dunklen Zwirn empor, die  dann in den Rumpf eines Mannes mündeten, der mit seinem Kopf gefühlte zwei Meter ausmachte. Und was sehen meine müden Augen, als ich da so aus meinen 1,68 Meter emporschaue: vor mir steht lächelnd Roger Willemsen. Übermüdet und gleichzeitig erfreut, dem Meister einmal persönlich zu begegnen, bricht es aus tiefstem Herzen aus mir heraus:

„Nein, Herr Willemsen, das ich Sie hier treffe!

Ich habe wohl in solcher Inbrunst gesprochen, dass er glaubt, wir kennen uns persönlich. Jedenfalls steht Roger Willemsen gefühlt fünf Minuten da und überlegt wohl, woher wir uns denn kennen. Dann rief er ebenfalls sehr enthusiastisch aus:

„Muss ich Sie kennen!?“

Ich lächle und kläre auf, bekunde meinen Respekt und wir lassen das Gespräch mit einem freundlichen Wortgeplänkel ausklingen. Denn wir sind beide müde und wollen beide nur noch raus. Mein Kollege Andreas meinte später:

„Ich finde, Irene Wahle muss man kennen.“

Ich lächele und danke. Auch wenn Zeit und Raum für ein tiefergehendes Gespräch fehlte, imponierte mir in genau diesem Augenblick etwas, was Menschen an ihm schätzten: Roger Willemsen war vollkommen präsent in dem Augenblick unserer Begegnung.

Für ihn waren es damals die Jahre, in denen er intensiv als Autor arbeitete und deshalb bei fast jeder Buchmesse dabei war. Außer bei seinem letzten Auftritt 2015, den er vorzeitig verließ und irgendwie anders war als sonst, wie man sich erzählt. Dem Fernsehen kehrte er damals, also 2007, langsam als Moderator den Rücken. Lies sich aber immer wieder gern in unterschiedliche Sendungsformate einladen.

Roger Willemsen: begnadeter Gesprächspartner und Autor

In diesem und in den folgenden Jahren hörte ich bis zu jenem Tag im Februar 2016 immer mal wieder von ihm. Mein Respekt vor seinem unermüdlichen künstlerischen Schaffensdrang und vor seinem Engagement  für die Schwachen in der Welt, beispielsweise für die afghanischen Frauen und Kinder, wuchsen.

Er vervollkommnete den Humanisten in sich und fühlte sich der Gerechtigkeit verpflichtet. Wohl aus diesem Grunde lieh er denen sein Ohr, seinen Geist und seine Feder, die Opfer von Folter und Ungerechtigkeit sind. Wie  beispielsweise den Menschen, die die Lager in Guantánamo entronnen sind.Die Wikipedia beschreibt diesen Ort und seinen Zweck so:

„Das Gefangenenlager Guantanamo gehört zur Guantanamo Bay Naval Base, einem Marinestützpunkt der US Navy in der Guantánamo-Bucht auf Kuba. Die Bereiche zur Unterbringung der Gefangenen sind Camp Iguana und Camp Delta (mit dem Sonderteil Camp Echo). Letzteres ersetzt das mittlerweile geschlossene Camp X-Ray. Die Camp-Namen entstammen der NATO-Buchstabiertafel. Die Lager werden durch die Joint Task Force Guantanamo betrieben. Im Januar 2002 wurde in Folge der Anschläge vom 11. September 2001 und der darauf folgenden US-amerikanischen Invasion in Afghanistan begonnen, den Stützpunkt in ein Internierungslager für Gefangene zu erweitern, die von US-Regierungen unter Bush und Obama als ungesetzliche Kombattanten bezeichnet werden. Damit war sowohl der Schutz der Vereinigten Staaten vor Terroristen als auch die Gewinnung geheimdienstlicher Erkenntnisse beabsichtigt.[1][2] Die Rechtslage der Gefangenen, deren Haftbedingungen, die verwendeten Verhör- und Foltermethoden und die Verstöße gegen die Menschenrechte führen international zu scharfer Kritik und zu Forderungen nach Schließung. Nachdem seit 2002 insgesamt 779 Gefangene dort inhaftiert worden waren,[3] betrug deren Zahl am 20. Januar 2017 noch 41.[4]“

Die, die diesem Ort entronnen sind, lässt er  in seinem Werk:

„Hier spricht Guantanamo“

zu Wort kommen. Ich gestehe, eine derartige Aufgabe zu erfüllen, dazu wäre ich unfähig. Ich würde mich nachts schlaflos in meinem Bett wälzen und die Leiden der einstigen Häftlinge würde ich am eigenen Leibe spüren können. Meinem Gefühl nach war auch Roger Willemsen ein Empath. Also jemand, der sich total in Menschen einfühlen kann. Diese Gabe ist das Gold, das wir als Autoren in unsere Arbeit einbringen. Aber wir leben in einer dualen Welt. Alles hat seine zwei Seiten: Wie Avers und Revers einer Münze sind in uns die Stärke und  Schwäche vorhanden.  In einem Interview sagte Roger Willemsen zu diesem Werk:

„Es gibt Tage, da ist es mir unmöglich, in dem Buch zu lesen.“

Während ich mich so intensiv mit Roger Willemsen beschäftigte, war ich erstaunt in welchen Lebensaufgaben ich Gleichklang spürte: wie beispielsweise die Vision, die Welt ein Stück weit besser zurück zu lassen, als sie war,  bevor ich kam. Ich kenne auch wie er das Gefühl mich getrieben zu fühlen und den Wunsch nach Ausleerung. Vielleicht ausgelöst durch seine Melancholie, die er selbst benannte oder die in seinen Texten erwähnt  und hin und wieder zum Ausdruck kommt.

Melancholie, übersetzt steht dieses Wort für Schwermut und wird medizinisch als Depression bezeichnet. Mutmaßlich litt er wie an seinem schweren Mut und wollte sich, wie ich, dieses Teiles von sich entledigen. Vielleicht ist sie die Ursache seines wiederholt geäußerten Wunsches nach Ausleerung, Wünsche sind die Botschaften unserer Seele. Sie fordert uns auf, uns auf eine Reise nach innen zu begeben und uns in unserer Tiefe zu erforschen. Neudeutsch sagen wir zu diesem Prozess Persönlichkeitsentwicklung. Doch Roger Willemsen suchte diese Ausleerung lebenslang im Außen. Er war bis zu seiner Krankheit ein ewig Reisender, den Menschen, Wüsten- Eislandschaften, die dunkle Seite in uns Menschen und die Enden der Welt magisch anzogen.

In der Ferne der seelenverwandten Zeitgenossin

erlebte ich ihn als einen Menschen, der sich früh mit der Endlichkeit unseres Daseins auseinander gesetzt hatte. Das Wissen um seine die Begrenztheit seines Lebens schenkte ihm die Erkenntnis sein Leben in vollen Zügen auszukosten. Sicher auch den Wunsch sich auszuprobieren und in alle Erfahrungen seines persönlichen Weges einzutauchen. Einerseits war er hoch intellektuell aufgestellt mit einem messerscharfen Verstand und einem brillierenden Geist.  Andererseits war sich Roger Willemsen nie schade war, auch mal einen ausgemachten Blödsinn mitzumachen. Wie beispielsweise seinen Fuß in eine Kloschüssel zu tauchen in einer Fernsehsendung. Auf diese Weise lebte der Autor, Publizist und Mensch Roger Willemsen ein Leben in einer Fülle, für das andere Menschen wahrscheinlich zehn Leben bräuchten. Er erkannte sich in Momenten höchster Bewusstheit. Wie beispielsweise in dem nachfolgenden Video, als er dem Moderator seine glasklaren Erinnerungen schildert, die ihn mit der Einnahme von Opium verbinden.

Er erkennt, was sein Wesen zusammen hält

die Angst. Er schildert dieses Erlebnis als heiligen Augenblick, weil er nur einmal im Leben Opium genommen hat. Bewusst nur einmal. Gern würde ich Ihnen, Herr Willemsen,  in dem Moment des Hörens sagen:

„Solche Klarheit lässt sich auch mittels heilsamer Mediationen erfahren. Mediare versteht sich hier in seinem ursprünglichen Sinne von: sich aus sich selbst heraus heilen.“

Als Beobachterin scheint sich bei ihm  immer alles achtsam im Moment weilend und gleichsam in rasender Geschwindigkeit zu ereignen.

Angetrieben von einer „berserkerhaften Energie“,

wie er selbst in einem seiner Interviews formulierte. Berserker sind die Kämpfer Wotans, des obersten Gottes der nordischen Sagenwelten. Sie kämpfen und wüten wie im Rausch, angetrieben von einem nie versiegenden Zorn. Der Bildhauer und Maler der klassischen Moderne, Ernst Barlach, beschäftigte sich mit kollektiven Mustern von uns Menschen. In seinen Zeichnungen und Skulpturen gab er ihnen eine Bild.

Roger Willemsen

Berserker, Ernst Barlach. Holz, Foto Wikipedia Rufus 46

Wer Barlachs Berserker genau betrachtet, dem fällt ein Widerspruch zwischen innen und außen auf. Der Zorn, von dem jemand sagte er sei versteckte Trauer, bleibt unsichtbar für den Betrachter im Inneren der Plastik verborgen. Die äußere Erscheinung  dieses Kriegers strahlt Ruhe, Harmonie und gesammelte Flexibilität aus. Zu betrachten ist einer der Berserker in Willemsens Wahlheimat Hamburg.

So stehe ich hier und frage mich:

„Was wütete in Roger Willemsen, um sich wie im Rausch in seiner Arbeit Bahn zu brechen?“

Welche Ursachen seine Wut hatte, entzieht sich meiner Kenntnis. Doch ich weiß, Wut und Zorn waren auch ein Teil von mir. Und ich bin dankbar, ihr auch mit Unterstützung durch Roger Willemsens „Spiegel“ auf die Schliche gekommen zu sein. Ich war wütend, dass es Kriege in der Welt gibt. Das es Essen im Überfluss gibt und gleichzeitig soviele Menschen verhungern. Ich war wütend, dass die Welt so ungerecht ist und dass ich soviele Menschen, die ich liebte,  so früh verstorben sind oder sich aus meinem Leben verabschiedeten.

Ich war wütend darüber, in welchen Konsens ich geboren bin. Aber auch darüber,  das sich manche meiner Lebens-Themen sich mir in Endlosschleife präsentieren. Und ich war wütend, dass ich so wütend bin.

So teilen viele von uns Wesenszüge, die ein Teil unserer „Seelenfamilie“ unseres „Kollektivs“ sind. Eigenschaften, die darauf hoffen, befriedet zu werden:  So wie die berserkerhafte Energie von Roger Willemsen.  Frei nach dem Motto unserer dualen Welt: wo viel Licht ist, ist auch viel Schatten. Sein Licht war seine weltoffene und den Menschen zugewandte Art.   Bei der Recherche für diesen Beitrag habe ich ein persönliches Video gefunden, indem uns

Roger Willemsen Einblicke in sein Allerheiligstes gibt.

Hier findet sich der Ort, an dem der überwiegende Teil seiner 36 Bücher entstanden sind. In der Spiritualität steht diese Zahl für die 36 Lebensstufen, die wir in unserem Leben durchlaufen. Wenn ich daran denke, als jemand, der mehrere Jahre an einem Buch arbeitet, dann bin ich erstaunt darüber und denke:

„Ja, so lebt jeder Mensch seinen Rhythmus.“

Manche seiner Werke liefen erfolgreich, wie beispielsweise „Der Knacks„, für den er mit einem Buchpreis ausgezeichnet wurde. Ein merkenswertes Buch,  indem sich der Autor an unendlich vielen Beispielen beweist, wie sich Übergänge und Brüche feinen Haarrissen gleich, in unser Leben schleichen. In der Beschreibung zum Buch lesen wir:

„Roger Willemsen erkennt den „Knacks“ in der Landschaft und unseren Städten, in Armut und Obdachlosigkeit, im 11. September und dem Lager von Guantánamo. Der Knacks ist in der Welt, aber der Knacks ist auch in uns – in unserem Scheitern so sehr wie in unseren vermeintlichen Siegen. Ausgehend von der sehr persönlichen Erinnerung an den Tod seines Vaters, diagnostiziert Willemsen den Knacks, mit dem wir die Kindheit verlassen, und den, den uns die Liebe zufügt. Der Knacks ereilt Helden und Verlierer, Paare und Einzelgänger, der Knacks ereilt uns, beim Gang durch die Zeit:

Wann wurde man nicht, was man hätte sein können? Wie sollten wir all das kennen, was wir haben, bevor wir es verlieren? Sind wir überhaupt noch anwesend in unserem Leben, und warum sitzt selbst im Glück der Knacks?
So betrachtet ist der Knacks weniger der harte Bruch im Leben als der unmerkliche Übergang. Immer und überall geht er vonstatten, in uns und um uns herum: eine Farbveränderung ins Dunkle, ein Abfallen der Temperatur, ein Wechsel von Dur zu Moll. Es kann der Einzug der Enttäuschung sein oder des Alters, der Moment, in dem etwas an sein Ende gelangt und sich am Horizont zum ersten Mal der Tod zeigt. Nicht wie ein Sprung markiert dieser Knacks sein Objekt, sondern wie die Risse in der Oberfläche eines alten Bilds.“

Die Motivation dieses und anderer Werke zu schreiben war, wie er es selbst erwähnte, der frühe Tod des Vaters. Roger Willemsen hatte bis zu dessen Tode eine behütete Kindheit, die er in einem Teil eines Schlosses am Rande eines Waldes verlebte. Willemsen wollte in seinem ersten Beruf:

„Der Diener seines Vaters“

werden. Weil er seinen Vater verehrte, der in der Kunst zu Hause war. An dieser Stelle frage ich mich auch aus eigener Erfahrung:

„Ist ein fünfzehnjähriger Mensch in der Lage, einen solchen Tod zu verarbeiten?“

Zumal mit dem Ableben des Vaters für Roger Willemsens die Kindheit zu Ende war. Er musste früh erwachsen werden und sich seinen Weg hart erarbeiten.

„Oder blieb der Tod des Vater einer offenen Wunde gleich ein Teil seiner Seele?

Willemsens Erfahrungen mit dem Tod erinnern mich an meine eigenen Lebenserfahrungen. Auch wenn ich 35 Jahre alt war, als bei meinem Vater eine Krebserkrankung diagnostiziert wurde. Es war genau jener Zeitpunkt, den er sich mit seiner unerlösten Todesangst „gewünscht“ hatte. „Unerlöste Todesangst“ deshalb, weil er sich nie mit seinem Tod auseinander gesetzt hatte. Die Annahme, dass ICH sterbe, ist die Erlösung dieser Lebensaufgabe. Da das nie geschehen war und er lebenslang Angst davor hatte an Krebs zu erkranken, bekam er fast auf den Tag genau wie seine Mutter im 78. Lebensjahr Krebs.

Er verstarb dann ein Jahr später durch ein selbstbestimmtes Ende. Ich erinnere ich mich deutlich der schrecklichen Gefühle nach seinem Tod. Genau wie an eine Information, die mein Vater in ein Familienbuch geschrieben hatte und die die Todesarten der väterlichen Blutlinie betraf: Vier Generationen seien an Krebs verstorben. Er hatte dann noch beschrieben, wie die einzelnen Menschen auf qualvolle Weise zu Grunde gegangen waren. Lange Jahre glaubte ich wie meine Vater:

„Ich bin die nächste. Auch ich sterbe bald.“  

Nun war ich es, die seinen Glaubenssatz übernahm und für Jahre im Würgegriff meiner Todesangst lebte. Ausgelöst durch meine Depressionen, beschloss ich neue Wege zu gehen. Ich erlöste meine Todesangst, nahm an, dass ich täglich sterbe. Auf diese Weise lernte ich, furchtlos zu sein und mich des Lebens zu freuen und meine Bestimmung zu leben. Menschen wie Roger Willemsen bereichern es, weil ich von ihnen lernen kann. Daran mußte ich denken, wenn ich Sätze von Roger Willemsen wie diesen in einem Interview las:

„Nun habe ich meinen Vater schon um zwei Jahre überlebt.“

Meiner Erkenntnis nach ist ein Knacks in unserem Leben mehr als ein feiner Haarriss an der Oberfläche in den Übergängen unseres Lebens,  die sich bis zum Tod vervielfältigen. Der Knacks sind unsere Dellen, Wunden und unfertig gelebten Erfahrungen.  Der Knacks ist eine offene Wunde; er ist die tiefe Trauer und der Zorn darüber, dass die Welt ist, wie sie ist.  Gleichzeitig sind für mich der Knacks die Schrammen unserer Seele, die sich so sehnlichst wünschen, in Liebe angenommen und geheilt zu werden. Jeder einzelne Knacks birgt in sich die Chance Angst in Vertrauen und Todesangst in Furchtlosigkeit zu verwandeln.

Ich kann trotz allem auch Roger Willemsens Einstellung nachvollziehen. Starb doch mein geliebter Großvater, als ich 11 Jahre alt war. Ich habe seinen Tod einfach in mir eingeschlossen und den Mantel des Verdrängens um diese schmerzende Verletzung meiner Seele gelegt. Erst 22 Jahre später, mit dem Tod meiner Eltern, begann ich, innere Verletzung zu betrauern. So angenommen, konnten sie heilen. Ein Prozess, der mutmaßlich bei Roger Willemsen in seinem Sterben einsetze.

Der große Intellektuelle und Menschenfreund reiste

für sein Leben gern, wie ich erwähnte und oftmals an die Enden der Welt.

„Auf fünf Erdteilen war Roger Willemsen unterwegs, um seine ganz persönlichen Enden der Welt zu finden. Manchmal waren es die großen geographischen: das Kap in Südafrika, Patagonien, der Himalaja, die Südsee, der Nordpol. Manchmal waren es aber auch ganz einzigartige, individuelle Endpunkte: ein Bordellflur in Bombay, ein Bett in Minsk, ein Fresko des Jüngsten Gerichts in Orvieto, eine Behörde im Kongo. Immer aber geht es in diesen grandiosen literarischen Reisebildern auch um ein Enden in anderem Sinn: um ein Ende der Liebe und des Begehrens, der Illusionen, der Ordnung und Verständigung. Um das Ende des Lebens – und um den Neubeginn.“ (Klappentext)

Irgendwann während der Arbeit an diesem Blog fragte ich mich,

wie er denn wohl darauf gekommen ist, auf einem runden Erdball ans Ende der Welt zu reisen. Und eine innere Nachfrage führt ja früher oder später zu den Antworten. Im Zuge der Verarbeitung meiner Trauer für einen leidenschaftlichen Zeitgenossen wurde ich pfündig in einem Video das dem Buch: „Die Enden der Welt“ gewidmet ist.

Hier findet sich wieder ein oft von ihm zitiertes Schlüsselerlebnis. Also ein Erlebnis, das etwas in unserem Inneren in Gang setzt. Die Begegnung mit einem kleinen sterbenden Jungen in einem Krankenhaus. Er hatte ihn kennen gelernt, als er seine damalige Freundin, eine Krankenschwester am Orte ihres Wirkens besuchte. Der kleine Mann erzählte ihm, dass er bald sterben würde. Und nur 15 Minuten nach dieser schockierenden Offenbarung meinte dieses Kind.

„Mir ist langweilig.“

Um das Kind zu unterhalten, legte er sich in dessen Bett und schlug dem Knaben vor, an die Enden der Welt zu reisen. Beide schauten die leere Zimmerdecke an und dachten sich gemeinsam Geschichten aus. Roger Willemsen erzählte ihm von all den Dingen, die der Junge nie erleben würde.  Die Botschaft des totgeweihten Kindes hatte etwas in ihm etwas ausgelöst: Die Gewissheit:

Ich sterbe„, wie er es in etwa in dem Video selbst schildert.

Erkenntnisse gewinnen und in Handlung umsetzen, das war wohl auch ein Teil von ihm. „Die Enden der Welt“ bezeichnen hier interessanterweise sowohl innere als auch äußere Enden der Welt. Und so reiste Roger Willemsen im Laufe der nächsten dreißig Jahre an all die Enden der Welt, von denen er dem Kind erzählt hatte.

Meinem Gefühl nach blieb er der Hinwendung ins Außen ein Leben lang treu. Er wußte soviel über andere und vermied es wohl doch, sich auf den Weg zu sich selbst machen: Sich selbst zu erkennen. Davon zeugt ein Interview vom

25. April 2015 als er sich in „Sternstunden“,  

einer philosophischen Stunde des Schweizer Fernsehens den Fragen des aufgeschlossenen Interviewers stellt. Es entspinnt sich nach ca. 10 Minuten ein interessanter Dialog, der auf des Pudels Kern in Roger Willemsens Leben abzielen soll. Diesen Ausdruck, entnommen Goethes Faust, verwendet man wenn sich überraschend eine Erkenntnis offenbaren soll.

Der Moderator fragt: „Herr Willemsen, 2000 Interviews in 20 Jahren. Da frage ich mich:

‚Weswegen diese viele Fragerei?“

Roger Willemsen antwortet: „Das ist ein genuindes (Anmerkung BiographinIW: wahrhaftiges oder aufrichtiges) Verhalten zur Welt. Also, wenn Sie mich so freundlich angekündigt haben mit der Qualität der Neugier. Dann ist das etwas, was mich vielleicht umtreibt. Sozusagen, wenn ich im Taxi sitze, dann rede ich mit dem Taxifahrer über das Taxifahren.

Ich rede gern mit Leuten über das, worin sie sachverständig sind. Und das liebe ich. Ich liebe es aus der Anschauung Informationen zu ziehen. Mich auf diese Weise zu bereichern. Auch zu steigern. Auch zu konzentrieren. Auch meine Orientierung zu verbessern.  Auch mich in Frage stellen zu lassen. Das sind alles Erregungen die mich aus dem Halbschlaf bringen.  Aus der Materialermüdung. …

Moderator: „Aber diese Erregung könnte ja auch eine Ablenkung sein gegen das Schweigen und die Introspektion (Anmerkung BiographinIW: Einsicht in das eigene Innere). Sie haben einmal gesagt … ich habe mir das Zitat heraus geschrieben: ‚Ich bin redselig, weil ich etwas verhüllen will. Eine Defizienz (Anmerkung BiographinIW: eine Unzulänglichkeit oder Unvollständigkeit) Aber ich will es nicht wissen.'“

Roger Willemsen ruft dazwischen: „Richtig.“ und lächelt dabei.

Moderator: „Das heißt: Bei anderen wollen Sie es wissen. Aber bei sich selbst … „

Roger Willemsen verzieht sehr wissend den linken Mundwinkel nach oben und antwortet wie immer charmant und wie aus der Pistole geschossen: „Sagen wir mal so: Bei anderen frage ich mich sehr genau. Wie viel Aufmerksamkeit hat die Öffentlichkeit an bestimmte Themen? Es ist mir mal passiert in einem Interview, dass ich eine namhafte deutsche Schauspielerin in die Nähe ihrer Familiengeschichte geführt habe. Ich habe im Interview nur an einem Blick bemerkt, dass sich ihre Mutter das Leben genommen hat.

Und ich habe in diesem Moment entscheiden müssen, ob ich das zum Thema mache und frage oder nicht. Ich habe mich dagegen entschieden. Ich habe es bis heute niemandem erzählt und werde es auch niemandem erzählen. Weil ich entschieden habe, dass die Öffentlichkeit keinen Anspruch darauf hat. Wenn ich sage, meine eigene Macke, die darin besteht … dass ich gerne rede … gerne Brücken schlage zu Menschen …  dass ich schnell entflammbar bin … auch unreif … auch halbstark auftrete … auch zu drastisch formulieren kann … die hat mit irgendetwas kompensatorischem zu tun. Ich will nicht wissen was es ist. Ich will nicht wissen, was der Mangel ist. Ich will nicht wissen, was mich umtreibt.“

[…]

Wenn ich das höre, da möchte ich Sie, wie Sie einst Heidi Klum, nehmen und schütteln und sagen:

Herr Willemsen:

Wir tragen IHN alle in uns!

Es ist weniger ein Mangel, denn unsere schwache und verletzte Seite; unsere unfertig gelebten Erfahrungen  … eben unsere dunkle Seite … unser Schatten. Er birgt in sich das, was wir verdrängen. Es ist das, was in uns geheilt werden will: das Kind, das wir einst waren,  das bittere Tränen über die viel zu früh zu Ende gegangene Kindheit weint. Es ist die weiche, weibliche Seite in uns, die sich nach der Verbindung der Gegensätze sehnt. Sowohl mit unserer männlichen, starken, bewussten, verstandsgesteuerten und lichtvollen Seite. Aber auch mit unserer weiblichen, schwachen, unbewussten, verletzten, dunklen und animalischen Seite.

Das Prinzip Verdrängung gehört zu uns Menschen, es unterstützt uns traumatisches Erlebnis zu überleben. Das ist gesund. Wenn es allerdings zum Dauerzustand wird wie beim Großteil der Menschheit, dann rennen wir bis ans Ende der Welt und unser Schatten rennt mit uns mit.

Der „Mangel“ ruft uns, mit allem was wir sind  in Einklang zu kommen.

Denn das Leben will uns in jedem Moment in unsere Einheit führen, damit wir in Balance mit uns und der Welt kommen.  Sich von diesem Schatten abzuwenden, ihn zu verdrängen ist leider Alltag, Herr Willemsen.“

Der Schatten, der „Mangel“ hat sein Zuhause in unserem Unbewussten, wie ich schrieb. Wenn wir ihm auf die Spur kommen wollen, dann können wir das nur, wenn wir uns seiner Sprache bedienen, die älter als alle Worte ist. Der Bilder. In uns gibt es archetypische Bilder, die wir beispielsweise dann berühren wenn wir uns des Schlüssels Märchen bedienen. Wie das Märchen von Frau Holle.

Der Brunnen steht für den Zugang zum Unbewussten in der Sprache der Symbole. Und wenn wir die innere Arbeit leisten, dann kommen wir in die Welt wie die Goldmarie. Unterlassen wir es, uns diesem Bereich zuzuwenden, dann werden wir die Pechmarie. Herr Willemsen, Ihre Seele hat so oft zu Ihnen gesprochen. In jedem Atemzug. Sie haben dazu beigetragen 100 Brunnen in Afghanistan zu bauen und haben sich verweigert in ihren eigenen Brunnen hinab zu steigen…

Aber Herr Willemsen: Ich weiß dass ich mich damit in Ihren Lebensplan einmische. Und ich bitte Sie um Verzeihung für meine Worte, die dem Wunsch entsprungen sind, Sie doch noch eine Weile bei uns zu haben. Meinen Erfahrungen nach, die wie ich weiß, Maßarbeit sind. Und so ziehe ich mich an dieser Stelle wieder still zurück und sage:

Ich weiß, dass jeder nur dem geheimen Plan der in seinem Inneren verborgen ruht bewusst und unbewusst folgen kann.“  […]

Im Gegensatz zu mir versuchte es der Moderator noch einmal in dem „Sternstundengespräch: „Ist es nicht interessant. Die eigene Lebenslüge gehört zum System. Dieses System hat extrem viel mit reden und sprechen zu tun. Dem permanenten auch sozial sein und mit einer Niederschwelligkeit. Einer Niederschwelligkeit des Intellektuellen der sofort wechseln kann, zwischen hoher Politik, hoher Kultur, Boulevard und Tresh (Anmerkung BiographinIW: durchtriebener Geist.) Fernsehen…“

Roger Willemsen: „Ja, das alles sind ja Möglichkeiten diese Nährflüssigkeit der öffentlichen Information zu nutzen, sie umzudeuten, sie sich anzuverwandeln, Assimilationen (Anmerkung BiographinIW: im soziologischen Sinne: das aufgehen in einer Gruppe, in einem Gespräch) herzustellen.

Das ja. Aber auf der anderen Seite sich nicht klar darüber zu sein, dass man durch MANGEL geleitet wird, durch Dinge die fehlen. Und die Frage ist eigentlich, wie viel Öffentlichkeit, wieviel Bewusstheit will ich eigentlich selbst auf die Quellen des Mangels wenden. ( Anmerkung BiographinIW: ein Widerspruch in sich. Quelle kann niemals Mangel sein. Quelle sprudelt) Das ist die andere Frage und an diesem Punkte bin ich nicht so sicher. Ich glaube, auch wenn wir in einer Philosophiesendung sitzen, dass man nicht nur nach den Möglichkeiten von Wahrheit suchen muss, sondern auch nach der Funktion von Wahrheit. Also eine Nitzschesche Frage zu stellen. Nicht nur: Wie ist Erkenntnis möglich?

Sondern auch

Wozu ist Erkenntnis nötig?

Jeder der schon einmal einen Ehebruch begangen hat und sich überlegt, ob es sinnvoll ist das mitzuteilen, wird sich die Frage stellen, welche Funktion die Wahrheit hat? „

Moderator: „Darf ich da noch ein bisschen bleiben. Sie haben ja erzählt, dass diese Vorsicht des Gesprächs. Dass es hier um eine Überschreitung geht, um eine Grenze. […] Es gibt dieses Unbewußte. Sie wissen garnicht wer Roger Willemsen ist.

Aber sie kennen die ganze Welt und so viele Menschen. Kann man Sie da zusammen stückeln“

[…]

So denke ich weiter nach Herr Willemsen, komme in meinen Gedanken an, was Wahrheit für mich bedeutet und Erkenntnis. Gehe der Frage nach, wozu Erkenntnis nötig ist.  Erinnere mich des Orakels von Delphi, jener Frau die die alten Griechen in zu Rate zogen, um sich bei wichtigen Entscheidungen beraten zu lassen. Jene weise Frau mahnt schon die antiken Menschen:

„Erkenne dich selbst“

mit dem Ziel mit sich persönlich weiter zu entwickeln.  Deshalb ist aus meiner Erfahrung der Schatten, ist der Mangel in uns, damit wir etwas erkennen können. Der Mangel besteht aus meiner Sicht auch darin, das sich ein großer Teil der Menschheit als Gutmensch sieht und die eigenen schwächelnden, schlechten Anteile in sich in andere Menschen verlagert. Das ist sicherlich eine Neigung, die alle Menschen in sich tragen. Sich von den Mangelanteilen abzuspalten.

Aber das ist leider kindisches Verhalten und hat einen Haken.

Denn der Schatten bleibt ein Teil von uns und jeder, außer uns selbst  kann „unseren Mangel“ sehen. Es ist so, als wenn wir den Schulterblick beim Autofahren übersehen und einen Crash produzieren. Und das aus dem Grund, weil wir den  „toten Winkel“ einfach ignorieren.
Und so  kann es wie beim Autofahren passieren, wenn wir die Hinwendung zum toten Winkel unterlassen, wird uns diese Unterlassung eines Tages überrollen. Die Harmonie bricht da ein, wo sie am Schwächsten ist. Ich verstehe Sie zutiefst, Herr Willemsen, das Schwache in sich zu verdrängen, denn ich weiß, welchen Mut es erfordert, sich dem zuzuwenden.

Denn die ersten Erkenntnisse sind hart: der Mensch der sich selbst erkennt, nimmt sich in seiner Ganzheit von sowohl als auch wahr.  Es war anfänglich furchterregend, was da alles an die Oberfläche meines Bewusstseins driftete. Staunend sah ich, was ich mir über mehr als drei Jahrzehnte vor lauter Tun vom Hals gehalten hatte. Die Erkenntnis, wozu Erkenntnis notwendig ist, hätte ich Ihnen gewünscht, Herr Willemsen. Aber das ist wie gesagt eine Einmischung in ihren persönlichen Lebensweg. Den doch jeder so gehen muss, wie es in ihm ist.

Und mein Verhalten erscheint mir fast wie eine Anmaßung, etwas besser zu wissen. Und ich bin damit in guter Gesellschaft. Denn auch der Moderator versucht dann noch eine Weile auf verschiedenen Wegen Sie, Herr Willemsen, zu sich und in die reife Erkenntnis zu bringen.  Aber als hochintelligenter Wortjongleur weigern Sie sich in subtilen Antworten auf dessen Fragen. Verlagern sich stattdessen mit  Ihren Antworten wieder in die Welt jenseits von Ihnen.

Über Monate habe ich mich ausgiebig mit Ihnen, einem von mir geschätzten und leidenschaftlichen Zeitgenossen beschäftigt, als ich einen interessanten Beitrag aus einer Talkshow finde: Thadeuz lud Sie als Fast Jubilar ein.

Ein schicksalhafter Fernsehauftritt von Roger Willemsen.

Mit dem Moderator verbindet mich, ein heimlicher Fan von Roger Willemsen zu sein. Thadeusz greift wie ich so manches Mal zu Papier und Stift, um sich brillante  Redewendungen von Roger Willemsen auf zu schreiben, die aus jenem wie aus einem Brunnen hervorsprudeln. Wie etwa der Ausdruck von Paaren, die sich einst in Liebe gefunden und mit den Jahren

nebeneinander verloschen sind.“  Genial.

[Video ist leider mittlerweile entfernt worden aus youtube]

Es ist ein heiteres Gespräch mit leichten melancholischen Einlassungen, in denen diese beiden Männer ein Resümee anlässlich des 60. Geburtstages von Roger Willemsen ziehen. Dieses Interview wurde am 11. August 2015 gesendet.  Wieder spüre ich den Gleichklang von Seelen, wenn er über die eigene Entwicklung spricht, denen Partner sich oft nicht aussetzen wollen. Dass seine Beziehungen eine magische Grenze von 2,5 Jahren hatten. Aber das er annimmt, was ist.

Das geht mir ähnlich, auch wenn ich andere magische Grenzen habe. Mittlerweile habe ich gelernt, dass wir in der Eros Liebe wirkliche Freiheit erfahren können, wenn beide Partner die Bereitschaft in sich tragen, die innere Arbeit zu leisten die Beziehung erfordert. Es ist die Leben – Tod – Leben  Natur der Liebe. In der intimen Beziehung wird alles was „tot ist“ in unserer Seele, an die Oberfläche unseres Bewusstseins gespült.

Das ist für hochsensible Menschen wie auch Roger Willemsen

sicher einer war, eine haarige Nummer. Der Partner oder die Partnerin spiegelt einem schonungslos all das, was in uns erlöst werden will. Die Frucht dieses Selbsterkenntnisprozesses ist lohnend: die reife Beziehung auf Augenhöhe. Wenn das nur ein Partner lebt, wird es schwierig bis unmöglich. In die „Duldungsstarre einer erloschenen Beziehung“ über zu gehen, war Roger Willemsen unmöglich, wie er es in dieser Sendung sagte. Eben weil er einfach zu kompromisslos und zu einverstanden mit seinem Lebenszustand war, in dem er angekommen ist. Er erwähnte auch, dass für ihn Freundschaften immer wichtiger werden. Ich nenne es die „Freundschaftsliebe“, die auch für mich kostbares Gut ist. Denn sie verbindet mich mit meinen Wahlverwandten.

Zufälligerweise drehte sich auch das weitere Gespräch um Erkenntnisfragen. Abschließend fragte der Moderator Roger Willemsen noch, wie er seinen Geburtstag feiern wird.

„Ein leerer Tag wird es weitestgehend sein und den Abend werde ich in der Runde von 10 Freunden verbringen. Zwei Wochen später wird im Fischerverlag ein rauschendes Fest gefeiert. Die Gruppe derer wird sicher ein bisschen größer sein. Und das ist schon alles und entspricht vollkommen dem, was ich perfekt finde.“

Auf Nachfrage erzählt Willemsen noch, dass er in Afghanistan gelernt habe, Geschenke anzunehmen. Außerdem bedankt er sich noch für die gute Frage, wem er etwas schenken wolle. Er überlegt eine Weile und entscheidet sich dann dafür, dem Afghanischen Frauenverein ein Geschenk zu machen.  Ganz am Ende sinniert er dann, angeregt durch Thadeusz, darüber, welche Bücher er schreiben will.

„Es gibt noch blinde Flecken, über die es zu schreiben lohnt. Beispielsweise über den Gesamtzustand der Welt,“

wie er in etwa meint. Und ich denke:

„Wie prophetisch!“,

bei seiner Beschreibung der inneren und äußeren Welt. Der Fischerverlag, sein Hausverlag, präsentiert ihm dann wenige Tage vor seinem 60. Geburtstag „ein Geschenk “ mit der Veröffentlichung des Buches:

„Ein leidenschaftlicher Zeitgenosse – zum Werk von Roger Willemsen.

Es enthält Antworten auf die Frage:

Wer ist Roger Willemsen?“

Ein wirklich lesenswertes Buch, dass in seiner  Rahmenhandlung ein ausgedehntes letztes großes Gespräch des freien Denkers mit der Herausgeberin in Dialogform wieder gibt. Facettenreich offenbart er sich vom kleinen Jungen, über den großen Intellektuellen und dem zur Melancholie neigenden Künstler. Ein gütiger Mensch, der warmherzig und gefühlvoll schreiben konnte und gleichzeitig auch seiner Wut auf hohem Niveau Ausdruck verleihen konnte. Ein Autor, der für seine Überzeugungen brannte  und dessen schriftstellerisches Können sich in diesem Buch über alle Stufen seiner beruflichen Entwicklung offenbart.

Das finde ich als Autorin äußerst spannend, genau wie den Umstand, dass diesem letzten Werk, das gemeinsam mit ihm entstand, zahlreiche bisher unveröffentlichte Selbstzeugnisse zu finden sind.  In dem Werk, herausgegeben von Insa Wilke, kommen aber auch Kollegen, Leser, Weggefährten und die Stimmen von Zweiflern an seinen Schriften zu Wort. Sie alle setzen sich kritisch mit dem Gesamtwerk von Roger Willemsen auseinander.

Was ich mir gewünscht hatte, wäre eine Hardcover-Ausgabe im vierfarbigen Druck.

Denn in dem Buch gibt es zahlreiche Abbildungen von Roger Willemsen und Menschen, die zu seinem Leben gehörten, sowie ein paar wirklich tolle Zeichnungen. Zwei Tage nach Erscheinen des Buches feierte Roger Willemsen seinen 60. Geburtstag.

Neun Tage später bekam er die  Diagnose eines unheilbaren Leidens.

-> In Teil 2 „Roger Willemsen ist ein Teil der Ewigkeit“  erfahren Sie etwas über die letzten Wochen und Monate des Künstlers, sowie über seine Beerdigung und meinen Besuch auf den Ohldorfer Friedhöfen und an seinem Grab.

 

Weiterführende Links

„Kunstvoll Abschied nehmen – ein Fachbuch fürs Leben“
Über Sterben im Leben und im Tode; Lebensaufgaben; den Sinn des Lebens und des Todes, sowie über den Tod
Autorin und Herausgeberin Biographin Irene Wahle

Selbstreflektion statt Projektion
Blog von Ansgar Schäfer, Coach und Personalvermittlung für Führungskräfte in Zürich.

Roger Willemsen
Biographie

Der Knacks
Autor: Roger Willemsen

Der leidenschaftliche Zeitgenosse- zum Werk von Roger Willemsen
Herausgeberin Insa Wilke

Interviews
Roger Willemsen

„Gott ist mein Vorbild“
Zeit online
Ein Gespräch mit Anna Kemper

Fragen an das Leben: Roger Willemsen über die Liebe
„Die Liebe ist der größte immerwährende Traum.“ seine Antwort.
Und doch lebte Roger Willemsen gern allein.

Leonhard Cohen ist tot: Diese Prominenten sind 2016 verstorben

20 tiefgründige Zitate von C. G. Jung,

die Sie unterstützen mögen, sich selbst besser zu verstehen

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Irene Wahle ist seit 2004 freiberuflich als Biographin im deutschsprachigen Raum tätig. Sie schreibt und produziert in Kooperation mit ausgewählten Netzwerkpartnern kostbar gestaltete Biographien, Lebens-Zwischen-Bilanzen und Firmenchroniken. 2008 wurde sie für die von ihr geschriebenen Lebenserinnerungen: „Kandelaber-Heckmann “ mit dem 1. „Deutschen Biographiepreis“ ausgezeichnet. BiographinIW ist als Expertin für Lebens – und Unternehmensbücher ins „Netzwerk der Besten | Großer Preis des Mittelstands“ aufgenommen worden. Mit ihrer Arbeit setzt sich Irene Wahle dafür ein, Leben zu klären, Erinnerungen als wichtigen Bestandteil unserer Kulturgeschichte zu bewahren, Lebensleistungen zu würdigen und Visionen zu entwickeln. Tel. +49 381 68 63 874 biographie[at]irene-wahle.de

8 Antworten auf Roger Willemsen und die Enden der Welt (1)

  • Liebe Irene: Meinen Blog mit deinem Nachruf auf Roger Willemsen zu verlinken kommt einem Ritterschlag gleich. Dafür danke ich dir. Gerne möchte ich deinem mit sehr viel Einfühlungsvermögen und Brillanz formulierten Nekrolog hinzufügen, dass ich Roger Willemsens Auftritte einige wenige Male – meistens zur späten Nachtzeit im TV – begegnete und den Eindruck bekam «er sei nicht von dieser Welt».

    Ihm zuzuhören war Balsam für die Seele. Er verstand es wie kein Zweiter, die «Dimensionen hinter den Kulissen» so zu beleuchten, dass sie auch für philosophisch weniger Begabte optisch sichtbar wurden und zum Nachdenken anregten. Ich verneige mich mit dir zusammen, liebe Irene, vor einem der ganz grossen Denker unserer Zeit.

    Liebe Grüße Ansgar

    • BiographinIW sagt:

      Lieber Ansgar,

      vielen Dank für deinen Kommentar, den ich wertschätze. Gern habe ich deinen Blog zum Thema Selbstreflexion ist besser als Projektion verlinkt. Du bist wie ich jemand, der an seiner Persönlichkeit arbeit. Wie ich erfähren du un die Menschen, mit denen du arbeitest, welche Geschenke dieses innere Auseinandersetzung offenbart. Eine Frage bewegt mich seit langem:

      Hast du vielleicht eine Idee, warum sich Mensch so schwer tut, sich selbst zu erkennen?

      Danke für deine virtuellen Blumen hinsichtlich meines Nekrologs.

      Eine wunderbare Formulierung: Roger Willemsen sei nicht von dieser Welt. Und ich gebe dir Recht: Es ist eine hohe Kunst „Herrschaftswissen“ allgemein verständlich zu formilieren und dadurch auch interessant zu machen. Denn wie sagte es schon der von mir geschätzte Albert Einstein: „Wer verstanden werden will, muss einfach sprechen.“

      In diesem Sinne lade ich dich ein, auch den zweiten Teil meines Blogs zu lesen und möglicherweise zu kommentieren.

      Namastè, was soviel heißt wie: ich verbeuge mich vor dem leuchtenden Licht deiner und der Seele von Roger Willemsen

      Liebe Grüße Irene

      • Deine Frage « Hast du vielleicht eine Idee, warum sich Mensch so schwer tut, sich selbst zu erkennen?» liebe Irene ist berechtigt. Sie ist Teil der Herzensbildung und steht in engem Zusammenhang mit dem Unbewussten. Viele haben das schlicht nicht gelernt.

        Machen wir zur Thematik Herzensbildung einen zeitlichen Sprung zurück: Der ETH-Professor Dr. C.F. Baeschlin eröffnete 1944 die festliche 46. Generalversammlung der Alumi-ETH – Ferdinand Piëch war übrigens ETH-Absolvent – mit einer herzlichen Begrüssungsrede und der folgenschweren Frage: «Haben wir alles getan, um die zukünftigen technischen Leiter und Ingenieure zu harmonischen Menschen heranzubilden, bei denen die auf Selbsterkenntnis basierende Herzensbildung nicht auf Kosten der Verstandesbildung zu kurz gekommen ist…?»

        Heute, 72 Jahre später, müssen wir erkennen, dass nicht alles getan wurde. Auch nicht an anderen Hochschulen und Universitäten. Ein Mangel an gezielter Geistes-Seele-Kultur – sprich Herzensbildung – führt zu Depressionen, zu Aggressionen und schlussendlich zu Misserfolgen.

        Auf meinem persönlichen Weg zur Herzensbildung traf ich Mitte der 1980er Jahre auf die am Monroe-Gehirnforschungs-Zentrum in Virginia ausgebildete Margarethe Friebe, Psychoanalytikerin und Philosophin. Sie schreibt dazu: Wenn wir uns wirklich aufrichtig selbst erforschen, selbst erkennen und von Herzen bemühen, zum Wohle anderer Menschen zu denken, zu reden, zu fühlen und zu handeln, öffnet sich das Tor zum seelischen Kräfte- und Ideen-Reservoir. Erst dann ist der Mensch wirklich frei, wenn er Meister seiner Gedanken und damit Meister seiner unbewussten Speicherungen bzw. Verhaltensmuster geworden ist.

        Es bedingt jedoch, sich aktiv mit Meditation und Mentaltraining auseinanderzusetzen. Dazu gehört Durchhaltevermögen und Disziplin. Doch dieser Einsatz erscheint gering, wenn die Früchte sich zeigen.

        Bei Margarethe Friebe habe ich übrigens eine umfassende Ausbildung in Sachen Entspannungstechnik und Mentaltraining durchlaufen. Das von ihr entwickelte Alphatraining – ich wende es beinahe täglich an – ist eine sehr effektive tiefenpsychologische Trainingsmethode. Sie ermöglicht auf die inneren unbewusst wirkenden Muster Einfluss zu nehmen, Innenschau (Selbsterkenntnis) halten zu können, Gedanken zu beherrschen und Ziele im Unterbewusstsein zu verankern. Mit dem Effekt Ziele auch zu erreichen.

        Lieben Gruss, Ansgar

        PS «Wenn du deine Gedanken nicht beherrschst, beherrschen sie dich» Ursi Spaltenstein

        • BiographinIW sagt:

          Lieber Ansgar,

          wenn du von Herzensbildung sprichst, dann gerate ich ins Wanken. Einerseits weil ich dir vollkommen zustimme. Andererseits, weil ich beispielsweise Roger Willemsen sehr wohl Herzensbildung zuspreche.

          Du kommst auf das Unbewusste zu sprechen. Ich glaube, da kommen wir der Sache schon ein Stück näher. Dann zitierst du einen weisen Satz:

          „«Haben wir alles getan, um die zukünftigen technischen Leiter und Ingenieure zu harmonischen Menschen heranzubilden, bei denen die auf Selbsterkenntnis basierende Herzensbildung nicht auf Kosten der Verstandesbildung zu kurz gekommen ist…?»

          Da liegt der Hase im Pfeffer. Es die Weiterbildung, um die Arbeit am Selbst. Der kluge Verstand findet immer wieder ein Argument. Windet und diskutiert. leugnet, greift an und kämpft mit aller Macht.

          Diese Werkzeuge sind dem Unbewussten fremd und das ist auch jenseits seiner Aufgabe. Es soll aufnehmen, was reinkommt. Ablegen und verdrängen, was zu schwer ist. Es verbalisiert sich hin Bildern und Träumen und ist die Heimat der Seele. Dieser Bereich in uns kann nur durch die Erfahrung erlebbar gemacht werden. Davon, bisherige Glaubensmuster in Frage zu stellen und sich seiner eigenen Licht – und Schattenseiten, seiner weichen, weiblichen Seite bewusst zu werden.

          Ich erinnere mich noch daran, als ich mich aufmachte meinen persönlichen Lebensweg zu gehen. Das heißt für mich, meine alten Verletzungen und unfertig gelebten Erfahrungen zu heilen. Ich war ein sehr verletzter Mensch und entsprechend habe ich auch reagiert. Mich in dem, was ich auch bin und auf keinen Fall sein wollte, anzunehmen war eine Hammer- Arbeit.
          Heute gibt es nur noch einen nahen Menschen, der mich da herausfordern kann … ansonsten kann ich zu meinen Fehlern und Schwachstellen stehen. Ich bin dankbar, dass es sie gibt, denn sie sind mein Potenzial mein Selbstverständnis zu stärken in ihrer Annahme…

          Wie geht es dir damit zu deinen schwächelnden Seiten zu stehen? Oder sie überhaupt erst einmal zu erkennen?

          Du schreibst weiter:

          „Ein Mangel an gezielter Geistes-Seele-Kultur – sprich Herzensbildung – führt zu Depressionen, zu Aggressionen und schlussendlich zu Misserfolgen.“

          Da bin ich total mit dir … auch aus eigener Erfahrung. Die Depression und der Misserfolg haben mich letzlich auf den Weg der Selbsterkenntnis geführt.

          Du schreibst weiter:

          „Wenn wir uns wirklich aufrichtig selbst erforschen, selbst erkennen und von Herzen bemühen, zum Wohle anderer Menschen zu denken, zu reden, zu fühlen und zu handeln, öffnet sich das Tor zum seelischen Kräfte- und Ideen-Reservoir. Erst dann ist der Mensch wirklich frei, wenn er Meister seiner Gedanken und damit Meister seiner unbewussten Speicherungen bzw. Verhaltensmuster geworden ist.“

          Aus vollem Herzen: Ja, zu diesem Gedanken. Auch mit der Disziplin und dem Durchhaltevermögen gebe ich dir recht. Allerdings füge ich hinzu:

          „Einmal die Tür zur Seele, zur inneren Welt geöffnet wird einer alle Unterstützung zuteil, die es braucht. Es ist mir heute unmöglich, mich rückwärts zu bewegen in alte Muster. Und wenn doch, dann ist das nur für kurze Dauer. Es wirkt durch mich hindurch, die Kraft, die wir Liebe nennen. Ich kann mich diesem Prozess nur noch hingeben.“

          Toll, dass du dich in der Entspannungspraxis übst. Ich glaube, das ist einer der wesentlichen Faktoren bei sich selbst anzukommen und sich zu erden.

          Ich danke dir unseren Dialog hier an dieser Stelle und wünsche dir ein friedvolles Weihnachtsfest.

          Herzliche Grüße

          Irene

          P.S. Eines meiner Lieblingszitate. 😉

  • Pingback: Totensonntag, der Tag des Gedenkens - Blog von Biographin Irene WahleBlog von Biographin Irene Wahle

  • Liebe Irene

    Deine beiden Fragen «Wie geht es dir damit zu deinen schwächelnden Seiten zu stehen? Oder sie überhaupt erst einmal zu erkennen?» kann ich so beantworten: Schaue immer mal wieder hinab in den Abgrund meiner Seele. Und sehe immer wieder staunend dem wilden Rudel von Wölfen zu, die, würden sie freigelassen, kaum zu bändigen wären. Gleichsam einem Vulkan kurz vor dem Ausbruch. Stehe dazu. Ohne Wenn und Aber. Der Pfad der Tugend ist so gesehen ein schmaler:-)

    Dir auch Merry Christmas

    Ansgar

    • BiographinIW sagt:

      Lieber Ansgar,

      danke erstmal für unseren anhaltenden Dialog hier und an anderer Stelle. Ich weiß das sehr zu schätzen.

      …. und danke in diesem Sinne auch für diese Antwort und das Bild, das du uns über die Abgründe deiner Seele schenkst. Wölfe trieben da ihr Unwesen, schreibst du.

      Da fällt mir eine Karte aus dem Tarot ein, die gleichzeitig eine Lebensaufgabe von uns Menschen verdeutlicht. Das Tarot, ich weiß du kennst es, aber möglicherweise ist es dem einen oder anderen Leser dieses Blogs unbekannt, ist ein Kartendeck mit 78 Karten. Im späten Mittelalter, also ca. im 15 Jahrhundert tauchte es plötzlich in Europa auf. Das erste Deck wurde von einem Italiener entworfen. Viele andere Decks in unterschiedlichsten Ausführungen folgten.

      Dieses Deck besteht aus 28 Karten der großen Arkana und 50 Karten der kleinen Arkana. Die große Arkana, übersetzt großes Geheimnis, enthält in archetypischen Bildern unsere Heldenreise. Neudeutsch unsere persönliche Entwicklung vom Baby zum weisen alten Kind. Darin verborgen Lebensaufgaben und Schlüsselbotschaften, die sich in den fünfzig restlichen Karten verbergen. Archetypisch deshalb, weil diese Bilder Bilder sind, die in unser aller kollektivem Unbewussten wieder zu finden sind.

      Eines davon ist die Acht, die Karte der Kraft. Auf dieser Karte ist eine Frau mit einem Unendlichkeitssymbol auf dem Kopf zu abgebildet und ein Löwe … könnte aber auch ein Wolf sein … Diese Karte symbolisiert die Aufgabe, dass Mensch mit seiner animalischen Seite Frieden schließt. Wenn das gelingt, wenn die Wölfe integriert sind 😉 … dann kommen wir in unsere höchste Kraft. Die meisten Menschen verschwenden ungeahnte Kräfte, um diese Kräfte, die ein Teil von uns sind in Schach zu halten.

      Ich für mich bin dankbar, dass es mir gelungen ist, diese Seite in mir zu erkennen und zu leben. Seither höre ich auf, immer die Nette sein zu weollen. Ich genieße es, auch mal die Zähne zu zeigen und mein Revier zu markieren … 🙂

      … und des Nachts bei Vollmond mal in ein ordentliches Wolfsgeheul auszubrechen… natürlich am passenden Ort 🙂 Das ist total befreiend.

      … in diesem Sinne wünsche ich dir, lieber Ansgar, dass der Vulkan auch mal ausbrechen darf, um Druck auszugleichen … oder besser gesagt, dass es uns allen immer besser gelingt den schmalen Grat der Selbsterkenntnis zu beschreiten …

      … Hut ab, das du zu allem stehst, was du bist, lieber Ansgar. Auch dafür schätze ich dich.

      Frohe, lichte und segensreiche Weihnachten.

      Liebe Grüße von Irene

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