Erinnerung ist ewige Gegenwart – Gedanken zum Totensonntag

Erinnerung ist ewige Gegenwart. Das wusste schon der mit 28 Jahren verstorbene Novalis zu berichten … Die letzten Blätter sind am Fallen, die Natur hat ihr Wachstum eingestellt, die Zugvögel sind von dannen gezogen und krächzend schreiten Raben über abgeerntete Felder und mager gewordene Wiesen. Winter liegt nasskalt in der dunstigen Luft, die in sich den Odem des ersten Schnees bewahrt. Raureif bedeckt morgens hauchzart, fast seidenen Schleiern gleich die Zweige der mittlerweile in sich ruhenden Bäume und Sträucher. Nebel legt über die Welt. Der Himmel ist von grauen Wolken verhangen. Leben stirbt geruhsam. „Man nehme mir niemals meine nebligen Novembertage“, wie der verstorbene Senator für Stadt – und Bauentwicklung Berlin a.D. es ausdrückte.

Der November, der Monat in dem das große Sterben in der Natur beginnt,
ist traditionell der Monat des Gedenkens. Hier in Deutschland feiern wir Allerheiligen und den Totensonntag. Am Allerheiligen gedenken die Katholiken aller Verstorbenen und wie der Name schon sagt, „Aller Heiligen“. Solchen, um deren Namen sie wissen, aber auch solchen, um deren Namen nur Gott weiß.
Der Totensonntag, ist ein Gedenktag, an dem ursprünglich der Gefallenen der Befreiungskriege von 1814 bis 1815 und der ersten Königin der Herzen, Königin Luise von Preußen, sowie aller verstorbenen Preußen gedacht wurde. Die anderen evangelischen Landeskirchen übernahmen dann diesen Tag.Genau wie die weltliche Trauerkultur.
Diesen Beitrag möchte ich neben dem kleinen geschichtlichen Exkurs nutzen, um Sie zu ermuntern, diesen Gedenktag aktiv und bewusst zu gestalten. Denken Sie an nahe Menschen: ob Verwandte, Freunde, Geschäftspartner oder Kollegen. An Menschen, die vor kürzerer oder längerer Zeit von uns gegangen sind.

Engel, Foto Grey 59 pixelio.de

Zünden Sie ein Licht für sie an.
Gehen Sie ins Zwiegespräch. Segnen Sie diese Menschen dafür, dass sie mit ihnen waren und dafür, was Sie durch Sie lernen durften. Denken Sie darüber nach, ob möglicherweise etwas offen ist zwischen ihnen. Verweilen Sie eine Weile in Stille und kommen ganz in der Situation an.
Wenn Sie das Gefühl haben, es ist etwas offen geblieben oder es fällt Ihnen schwer loszulassen, dann: schreiben Sie einen Brief.Nutzen Sie dafür schön gestaltetes Briefpapier oder fertigen Sie es selbst an. Schreiben Sie alles auf, was Ihnen auf dem Herzen liegt. Dieser Brief ist nur für Sie und den verstorbenen Menschen bestimmt. Sie können Ihre ganze Sehnsucht in diese Zeilen packen oder ihren ganzen Zorn. Aber auch die vielen bunten Töne dazwischen. Alles ist erlaubt. Notieren Sie, was lodernd in Ihrer Seele brennt… bis alles aus Ihnen heraus ist. Stecken Sie die Zeilen in ein Kuvert, adressieren Sie es an Ihren lieben Menschen und dann geben Sie die Post auf. Wo? Lassen Sie Ihrer Phantasie freien Lauf. Vergraben sie ihn in der Ruhestätte des Menschen, übergeben Sie ihn als Flaschenpost dem Meer oder gehen Sie an den Lieblingsort: an den des Verstorbenen, an Ihren oder an einen gemeinsamen. Wichtig ist, dass der Brief „aufgegeben“ wird.Denn:

„Ein Ritual zu sehen, klärt das Leben. Ein Ritual zu vollziehen, klärt die Seele.“

Tauchen Sie ein in die Erfahrung und sehen Sie, was Ihr Tun mit Ihnen macht. Lassen Sie sich von einem gelebten Stück Abschiedskultur inspirieren oder nehmen Sie daran teil, wenn auch Sie „Verwaiste Eltern“ sind. Jedes Jahr, am zweiten Sonntag im Dezember, gedenken weltweit Menschen ihrer verstorbenen Kinder und Geschwister. An diesem Abend vereint ein berührender Brauch alle Betroffenen. Um 19Uhr zünden Eltern und Geschwister ein Licht für ihren Menschen an.

Damit „ihr Licht für immer leuchte“.
Wenn die Lichter in einer Zeitzone erlöschen, entzünden sich in der nächsten Zeitzone die nächsten Kerzen, funkeln in den Herzen der Menschen und umfluten in Liebe und stillem Gedenken unsere Mutter Erde. Hier in Mecklenburg hat sich eine Gruppe von verwaisten Eltern und Geschwistern zusammen gefunden, die jedes Jahr in einem neun Jahrhunderte alten Zisterzienserkloster eine Gedenkfeier zelebriert. Selbst betroffene Künstler, wie die Keramikerin Andrea Schürgut, bringen sich in die Organisation und Gestaltung der Feier ein. Selbstverfasste Verse, aber auch Gedichte prominenter verwaister Eltern aus Vergangenheit und Gegenwart werden rezitiert, mit einer Predigt der Pastorin umrahmt und mit einem gemeinsamen Ritual vollendet. Das Foto erzählt eindrücklich die Geschichte des Zitats von Thornton Wilder: „Die Brücke zwischen dem Land der Lebenden und dem Land der Toten ist die Liebe“. Mögen die Zeilen des großen Poeten des Todes, Rainer Maria Rilke, für all diejenigen Trost sein, die um einen Menschen trauern:

Ob uns die Stunden wieder entfernen
Wir sind immer zusammen im Traum
Wie unter einem aufblühenden Baum
Wir werden die Worte, die laut sind, verlernen
Und von uns reden wie Sterne zu Sternen
Alle lauten Worte verlernen
Wie unter einem aufblühenden Baum.

Brücke der Liebe, Fotocollage Alexander Kretschmer

P.S. Nutzen Sie diesen Tag zur Besinnung für Ihr eigenes Leben. Sie sind noch dabei. Sie dürfen sich erinnern. Sie dürfen lachen, lieben, sich bekriegen, zornig und stinksauer sein. Sie dürfen trauern. Sie können sich versöhnen. Sie können vergeben, vergessen und verzeihen. Sie dürfen Angst haben und die in Vertrauen verwandeln. Sie dürfen noch immer das tun, was Ihnen Freude bereitet. Sie dürfen Ihre Persönlichkeit entfalten. Dürfen Hindernisse überwinden und Prüfungen bestehen. Sie dürfen glücklich sein und lernen. Seien Sei dankbar dafür und kosten Sie das Leben bis zur Neige aus.

 

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