Denk daran, einmal wird es vorbei sein

An einem Tag der letzten Woche saß ich gegen 22 Uhr vollkommen erfüllt von einem Arbeitstag auf einem Sessel. Ich freute mich, dass eine Lebens-Zwischen-Bilanz Form annimmt und sich die Geschichten langsam in meinem Kopf fügen. Aber auch darüber, welche Wandlungsprozesse ein Kunde in dieser Zeit, dank unserer Zusammenarbeit und seines unbedingten Willens sein Haus aufzuräumen, durchlaufen hat.
Ich war in diesem Augenblick eins mit mir und der Welt. Alles war gut, so wie es war.
Da klingelte mein Telefon. „Wer will den wohl um die Uhrzeit noch was von mir,“ dachte ich so und nahm das Gespräch an, denn im Display sah ich eine mir bekannte Nummer.


Am anderen Ende der Leitung war eine meiner Freundinnen. Wir kennen uns seit Ewigkeiten. Damals wohnten wir zusammen im Bereich für Mütter und Kinder eines Ledigenwohnheims des Seehafens Rostock. Unsere Kinder, die heute zu Männern mit eigenen Familien herangewachsen sind, waren kleine Stöpsel. Ganz entgegen ihrem sonstigen Auftreten war Bärbel ungewohnt still. Deshalb meinte ich: „He, Bärbel, du bist heute aber meditativ drauf.“
Nach weiteren stillen Augenblicken brach das, was sie mir sagen wollte, aus ihr heraus:

„Rolf ist tot.“
Als ich es höre bin ich platt. Es trifft mich und das, obwohl ich mich lebenslang mit dem Thema beschäftige. Ich muss mich erst mal wieder setzen. Rolf war ein vertrauter Mensch, der wie seine bessere Hälfte seit über dreißig Jahren zu meiner Welt gehörte.. Ich hätte irgendwie alles erwartet, aber diese Nachricht trifft mich unverhofft. Dachte, dass wir uns wieder mal über dieses und jenes austauschen wollen. Und so fallen mir spontan Rilkes poetische Gedanken:

„Der Tod ist groß. Wir sind die Seinen lachenden Munds.
Wenn wir uns mitten im Leben meinen, wagt er zu weinen. Mitten in uns“ ein. Und nach dem ich sitze, höre ich mich sagen:

Für_Rolf-26.04.2014

In Memorian für Rolf am 26.04.2014 um 10.15 gelegt, Foto BiographinIW

„Du, ich bin jetzt sprachlos…“

Sie nimmt es hin, erzählt mir was geschehen ist und ich höre ihr zu. Die beiden waren für mich immer wie ein Ei und ein Kuchen, die zusammen gehören. Zwei, die über 29 Jahre durch die Höhen und Tiefen des Lebens gegangen sind. Zusammen menschlich gereift sind und überhaupt ganz viel zusammen gemacht haben. Die sich trotzdem ihre Freiräume ließen. Ich erinnere mich an Bärbels Wunsch: „Ich möchte so gern die Goldene Hochzeit mit meinem Rolfi erleben.“  Ich hatte es ihnen immer gewünscht und mich für sie gefreut, dass sie sich gefunden haben.
Jetzt höre ich ihr zu, während sie von den Geschehnissen berichtet und davon, dass sie ja weiß, dass es weiter geht nach dem Tode. Meine Freundin hat in späten Jahren Heimat im christlichen Glauben gefunden. Ich wünsche ihr von Herzen, dass der ihr jetzt hilft,  dass Unfassbare zu ertragen.  Diesen Tenor trägt auch die Anzeige in der Zeitung, die von Rolfs plötzlichem Tod künden sollen:

„Das Leben ist eine Reise die heimwärts führt“,
Und ich denke, während ich ihren Ausführungen weiterhin lausche: „wie gut dass uns die Evolution den Schockzustand mit auf den Weg gegeben hat.“

Wie könnte sie sonst diese Stunden, dieses entzwei gerissen werden überleben. Gewachsene Paare sind wie zwei Bäume, die zu einem zusammen gewachsen sind. Die Trennung ist so, als reiße man ein Stück des Stammes heraus und der andere Baum bleibt verwundet zurück.
So bin einfach da. Höre weiter zu, werfe nur hie und da etwas ein. Gebe Tipps für die Abschiedsfeier. während sie von Rolfs Wünschen für seine letzte Ruhe und von ihren Vorstellungen von dem Abschied spricht. Davon, welchen Frieden sein Gesicht im Tod ausstrahlte. Wie dankbar sie ist, dass alles gut zwischen ihnen war und das sie die Zeit, die sie zusammen hatten, so genutzt haben wie sie es taten.
Ihr Verstand versteht die Nachricht. Aber bis das Herz sich dieser Mitteilung öffnet, das wird noch lange dauern. Ich wünsche ihr ganz viel Kraft auf diesem Weg.
In dieses tragische Erleben mischen sich ein paar Augenblicke, in denen wir uns an Dinge erinnern, die wir zusammen erlebt haben.
Es gibt sogar Momente, in denen wir zusammen lachen. Beispielsweise, als Bärbel mir ein lang behütetes Geheimnis verrät. Rolf war des Öfteren im Raum, wenn wir telefonierten und er hörte dann weniger darauf, was ich sagte. Sondern wie ich etwas sagte. Deswegen meinte er manchmal, wenn ihn der Schlaf floh:

„Du, ruf doch die Irene an“, denn er fand meine Stimme so beruhigend und schlief gut dabei ein.

Ich kann darüber herzhaft lachen, denn mir haben schon viele Menschen gesagt, dass meine Stimme beruhigend und erdend ist.
Dann geht es gar balde um das, was jetzt dran ist.
Michi, der Sohn der beiden, den ich seit seinem dritten Lebensjahr kenne, wirft hin und wieder etwas aus dem Hintergrund ein.

Andere Kulturen gehen ganz anders mit dem Tod um. Ich war in Mexiko. Dort glaubt man kaum auf einem Friedhof zu sein.“

Darauf antworte ich ihm: „Nimm diese Erfahrung mit. Wir alle sind es, die eine neue, eine persönlichere Abschiedskultur mitgestalten. Abschiedsfeiern, die neben der Trauer von einem Leben vor dem Tod berichten. Die den Menschen in den Mittelpunkt rücken und sein Leben ehren.

Er nimmt den Gedanken auf. Will nach der passenden Musik für den Vater suchen. Denkt auch über sein eigenes Leben nach und wie oft er Dinge aufschiebt. Hofft, dass er von seinen vielen Arbeitseinsätzen immer gut wieder zurück nach Hause kommt. Mir fällt irgendwann ein, dass ich bisher vergaß, mein Mitgefühl auszusprechen. Ich sage das und hole es nach.  Sie meinen darauf in etwa, dass mein Zuhören ihnen sagt, dass mein Mitgefühl mit ihnen ist.
Nach mehr als 90 Minuten verabschieden wir uns voneinander.
Wir legen auf und ich bleibe tief berührt zurück.

Engel in der Hand

Foto NikoLeHe pixelio.de

Lausche in mich hinein, erinnere mich an Rolf und seine leuchtend blauen Augen ,
aus denen der Schalk, aber auch viele gemachte Erfahrungen strahlend hell blitzten, während dessen seinen Mund oft ein leises Lächeln umspielte. Dann wußte ich:

„Jetzt kündigt sich gleich eine nette Geschichte an“,

die er humorvoll in seinem ureigenen sächsischen Akzent vortrug. Er war einer, der mir in der Seele nah war und so wie ich viele berufliche Umbrüche nach der Wende hinter sich gebracht hat. Dabei einen langen Weg zum Glück absolvierte und wie ich daran arbeitete, die negativen Gedanken über die Welt in sich zu erlösen. Der wie ich einer war, der sich nie unterkriegen lies. Eben ein echtes Stehaufmännchen, der sich nie für eine Arbeit zu groß war. Der seine eigene Würde entwickelte und der lernte, sich und seinem Tun Wert zu geben.  Ein Mensch voller Empathie, dem das Wohl der Menschen, die ihm am Herzen lagen, wichtig war.
Einer der anpackte  und wußte, dass die Kraft der Veränderung in ihm liegt. Der sich wie ich inspirierende Vorbilder suchte. Der mit seiner Bärbel seine Lebenszeit ausnutzte und seine kleine, ererbte Scholle liebte.

Auch wenn unsere Sterne sich nur hin und wieder berührten,
so berührt mich sein Tod. Da hat jemand so viele Herausforderungen überwunden, ist dem Tod auch schon von der Schippe gesprungen und ist scheinbar endlich in seinem Leben angekommen. Dann ist alles vorbei. Von jetzt auf gleich.
Das gibt mir zu denken. Wirft auch für mich die Frage auf:

„Ist alles getan, was du bis dieser Stunde tun solltest?“

Mein Kopfkino schaltet sich ein und Rolfs Gesicht erscheint auf meiner inneren Leinwand. Er lächelt wieder diese suptile Lächeln aus seinen leuchtend blauen Augen. Er scheint trotz all dieser Tragik seinen Frieden mit sich und der Welt gemacht zu haben. In mich hinein lauschend höre ich es leise raunen:

Rolfi 006

Rolf Kirschner, Foto privat

„Irene, denk daran. Einmal wird es vorbei sein.“

„Ja, ich weiß Rolf. Ich danke dir, dass du mich daran erinnerst und dafür dass du mit mir warst. Ich danke dir für das, was ich durch dich lernen durfte und dafür, dass ihr immer an mich gedacht habt. Danke für die schönen Dingen, wie die Wachteleier, das porzellanene Teelicht mit meinem Namen und die wundervollen Blumen samt Vase zu meinem 50. Geburtstag. Danke für die gemeinsamen Stunden. Es war für mich ein Geschenk, euch beide zu erleben.

Komm gut über den Regenbogen.

Bis auf die Zeit nach dieser Zeit. Irene“

 

 Weiterführende Links
„Was würden Sie tun, wenn Sie noch drei weitere Leben zur Verfügung hätten?“
Interview von Simone Happel mit BiographinIW

3 Antworten auf Denk daran, einmal wird es vorbei sein

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